Universale endogene Depression

■ Politisches Wochenende am Schauspielhaus: Achternbuschs „Neue Freiheit“ und Wahlparty von Schlingensiefs Chance 2000

Viele Menschen glauben ja, daß am 27. September Bundestagswahl sei, und denken deshalb, daß die Wahlparty der Chance 2000 am Samstag acht Tage zu früh terminiert war. In Wirklichkeit, so teilte Christoph Schlingensief den jungen Menschen des beinahe ausverkauften Schauspielhauses mit, ist die Sache schon erledigt: „Am Wolfgangsee war Bundestagswahl“, erinnerte er an seinen gescheiterten Versuch, Kohls Urlaubsdomizil mit einem Massenbaden zu ersäufen, „sechs Millionen Arbeitslose haben entschieden: Sie bleiben zu Hause. Sollen sie da baden gehen.“

„Abschiednehmen von Deutschland“ lautet die Devise, „familiärer Terrorismus“ die Alternative. Der Parteivorsitzende tat in seinem zweistündigen Programm von der Welt und seinem soziologischen Freilandversuch Chance 2000 frustriert – „In drei Wochen Wahlkampf-Tour sind fast alle Landesverbände ausgestiegen. Sie nannten mich ein arrogantes Arschloch und haben Recht“ –, und gerierte sich wie gewohnt abwechselnd als Jesus, Diktator und Kennedy-ausstechender Showmaster. Was soll man auch machen, wenn das Universum an endogener Depression leidet und nur ein euphorischer Gendefekt die Gesellschaft noch retten kann. „Die Ursache liegt in der Zukunft“ verriet ein Spruchband über der Bühne, weshalb sich Schlingensief samt seiner Theaterfamilie, die vorgestern auf den Filmkritiker und Staatsanwalt a.D. Dietrich Kuhlbrodt sowie die behinderten Darsteller dezimiert war, mit „Wählt mich nicht“ verabschiedete: „Wählt Euch selber!“

Vor Schlingensiefs „Tötet Helmut Kohl/Rettet Helmut Kohl“ stand allerdings Herbert Achernbuschs „Befreit mich von Helmut Kohl“. Eine Rezension der Uraufführung von Neue Freiheit. Keine Jobs. Schönes München. Stillstand im Malersaal lesen sie im überregionalen Kulturteil der taz.

Christiane Kühl