: Gratwandern
■ Clinton-Video: Deutsche Medien zwischen Informationsauftrag und Voyeurismusverdacht
Für die einen war es gestern die Schlagzeile des Tages, die anderen verweigerten sich der Berichterstattung über das „Clinton-Video“. „Clintons Porno-Verhör – uns reicht's“ überschrieb die Hamburger Morgenpost zwei „demonstrativ“ leere Seiten ihrer Dienstagsausgabe, und kommentierte: „Wir haben beschlossen, diesen Höhepunkt der Dreckschleuderei nicht mitzumachen, an der Erniedrigung eines integren Gestrauchelten nicht teilzunehmen. Und sind sicher, unsere Pflicht, Wichtiges zu berichten, nicht zu verletzen.
Als Printmedium tat sich die Hamburger Morgenopst da leicht, denn eine Abschrift des Videos hätte niemanden interessiert, und die peinlichen Details der Lewinsky-Affaire waren aus Vorberichten sowieso schon allgemein bekannt. Da hatten es die deutschen Fernsehsender schon schwerer: den mächtigsten Mann der Welt schwitzen sehen – das konnte man sich eigentlich nicht entgehen lassen. In vielen deutschen Kabelhaushalten waren Clintons Bekenntnisse live über CNN zu sehen, es mußte also auch ein deutsches Angebot her.
Der Nachrichtensender n-tv schaltete sich mit Simultanübersetzung direkt in die Einspielung des Videopools aus dem Weißen Haus, inklusive des peinlichen, raketenstarthaften Count-Downs der dortigen Techniker. Aus den insgesamt viereinhalb Stunden Verhör wurden bei n-tv 45 Minuten ausgeblendet.
Zeitgleich mit der Ausstrahlung diskutierten im sogenannten „Newsroom“, der Entscheidungszentrale des Senders, die beiden Chefs vom Dienst: „Gehen wir jetzt raus? Oder jetzt?“ Ausgespart wurden nach Angaben von ntv-Sprecher Bernd Schwintowski die hinlänglich bekannten pikanten Stellen. Der Sender habe sich schon vor Jahren Selbstbeschränkungen auferlegt, zum Beispiel strahle man keine Werbespots für Telefonsex aus. Trotzdem sei es wichtig gewesen, den „gesellschaftspolitischen Prozeß“ in den USA zu dokumentieren. Die Meinung der Zuschauer war geteilt, etwaiger Zorn richtete sich allerdings weniger gegen den Sender, sondern gegen den Sonderermittler Kenneth Starr.
Der Privatsender Pro7 schien über die plötzliche Ausstrahlung des Clinton-Videos baß erstaunt zu sein: Den ganzen Nachmittag über kündigten die Münchner per Laufschrift aufgeregt eine „Sondersendung“ für den Abend an. Mit der Vorbereitung hat man sich beim öffentlich-rechtlichen Dokumentationskanal Phoenix offenbar schon etwas länger beschäftigt: „Seit der Veröffentlichung des Starr-Reports wurde in der Redaktion intensiv darüber diskutiert, wie unser Fernsehprogramm auf eine mögliche Veröffentlichung des Videos reagieren sollte“, sagte der Sprecher der Programmgeschäftsführung, Klaus Radtke, zur taz. Radtke legt Wert auf eine Abgrenzung von den Kollegen: „Von Anfang an war uns klar: unter keinen Umständen würde Phoenix dieses Video live und ungeprüft senden. Zunächst mußte eine journalistische und juristische Prüfung vorgenommen werden. Das unterscheidet unser Vorgehen von dem der Sender CNN oder n-tv.“
Trotzdem begab sich auch Phoenix mit journalistischer Diskussionsrunde und Live-Schaltung nach Amerika auf eine Gratwanderung: Einerseits wollte man sich keinesfalls mit den „Exzessen des Sondermittelers Starr und des Repräsentantenhauses“ gemein machen, oder gar dem „Voyeurismus mancher Zuschauer Vorschub leisten“. Andererseits sei es doch wichtig gewesen, den Zuschauern „eine gründliche Einordnung und Analyse dieses hochpolitischen Vorganges anzubieten.“ Das scheint geglückt zu sein: anrufende Zuschauer bestätigten dem Sender eine „sensible Behandlung des Themas“.
Das „Clinton-Video“ – ein Meilenstein in der Entwicklung der Medien? „Man wird sich Gedanken darüber machen müssen, welche Folgen die ethische Schrankenlosigkeit des Internet haben wird.“, meint Radtke. Und rührt nochmal in der Werbetrommel: „Voyeurismus findet jedenfalls auf Phoenix auch in Zukunft nicht statt.“ Stefan Kuzmany
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen