: Ruhiger Schlaf unter Dissonanzen
■ Piano adventurers: das Bobo Stenson Trio im Überseemuseum
Endlich hat die Konzertsaison im Überseemuseum wieder begonnen. Endlich schlängeln sich wieder seltsame Klänge durch die kantigen Arkaden, spielen mit meterlangen Lianen (echte, keine aus Plastik!) und plustern die Segel afrikanischer Schiffe. Endlich muß man sich sein Bier wieder heimlich in Dosen vom Bahnhofskiosk einschmuggeln. Jazzpianist Bobo Stenson ist vielen BremerInnen schon von Auftritten mit verschiedensten Besetzungen im Vegesacker KITO vertraut. Vor das Hüttendorf im Museum kam er nun zusammen mit Schlagzeuger Jon Christensen und Anders Jormin am Baß. Stenson war geladen als 15. „Klavierabenteurer“ des Hauses. Aber für einen Abenteurer ist er eigentlich viel zu sanft. Fremde Kontinente erreicht er niemals. Dem Klang lauscht er eher hinterher als ihn anzutreiben und versetzt so sein Publikum in angenehm besinnliche, manchmal auch melancholische Stimmung. Ernst gefriert die Gesichter der Zuhörer. Kein wippender Fuß weit und breit. Ganz hinten im Raum hat sich ein Gast auf den Boden schlafen gelegt.
Zwar schwindeln sich eine ganze Menge mutiger Dissonanzen in Akkorde und mehr noch in die Läufe hinein, doch sie wurden gebändigt zu sanften Lämmern. Sie wollen nicht mehr beißen. Die von Schönberg eingeforderte Gleichberechtigung von Konsonanz und Dissonanz ist hiermit erreicht. Kaum einmal, daß einzelne Töne überfallsartig in die Tastatur eingestanzt werden. Kaum, daß eine Wendung ruppig abgebrochen würde. Jazz ist ein langer, ruhiger Fluß.
Jormin emanzipiert seinen Kontrabaß oft zum Melodieinstrument. Durch Pausen deutlich gegliederte Phrasen mit markanter Rhythmik wollen mehr sein als nur Fundament. Zum Teil bemerkenswert schnell, aber weich wie Palmwedel fächern die Finger über die Seiten. Das Gesicht aber krampft unter Hochdruck. Spätestens hier wird die Grundintention des Trios spürbar, die da wohl lauten könnte: Zusammenbringen von Sanftmut und Intensität.
Der interessanteste Baustein für die gelassene Seelenbehausung, die das Trio für sich und die Hörer zimmert, ist aber vielleicht Schlagzeuger Christensen. Eigentlich von einem ordnungsgemäßen Arbeitsmaterial umgeben, das jede Menge Auswahl bietet, beschränkt er sich oft minutenlang auf ein Becken oder eine kleine Trommel. Toll ist dann natürlich der Moment, wenn er aus dem engen Versenkungs-kreis ausbricht, kreuz und quer um sich haut. Wenn er die Ränder seiner Trommeln abtastet, dann holpert ein Kling-Kling-Kling durch den Raum anstelle satter Töne. Obwohl doch weit entfernt von der Zerstörungs- und Verwirrungslust des free jazz, wischt er mit der größten Ruhe der Welt seinen höchst eigenen Viervierteltakt in die Trommelhaut, unbeeindruckt von den Temposchwankungen des Kollegen Stenson. Oder er setzt seine Schläge eine Spur vor oder hinter die Klaviertöne, ohne daß es als Off-Beat interpretierbar wäre. Die Errungenschaften einstiger wilder Jazzavantgarde sind längst selbstverständlich und altersweise geworden. bk
Zum Vormerken: 7.10. Avantgarde-Pianistin J.M. Balanya animiert das Publikum zum Blasen in Schläuche; 17.10. Luis di Matteo, Bandoneon; jeweils um 20h im Überseemuseum
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