: „Go on with the show“
Düster und ohne grelle Schockeffekte, dabei aber nicht hoffnungslos, sind die Stücke des 30jährigen irischen Dramatikers Enda Walsh. Seine Figuren sprechen eine Sprache, die das Publikum erst lernen muß. Ab heute gastieren seine „Disco Pigs“ in der Baracke ■ Von Holger Zimmer
Next Generation“, heißt das Motto für das Theaterprogramm der diesjährigen Festwochen. Als einziges Gastspiel aus Irland ist auch das Stück „Disco Pigs“ des dreißigjährigen Enda Walsh zu sehen. Außer seinem Spitznamen „Starship“ allerdings verbindet Walsh nichts mit der Star-Trek-Serie. Und außer seinem Alter nichts mit den anderen ausgewiesenen Mitgliedern der „nächsten Generation“, den Briten Mark Ravenhill oder Sarah Kane. Seine Stücke sind zwar Produkte der heutigen Zeit, versuchen aber nicht, die gesellschaftlichen Wirren der Neunziger grell schockierend auf die Bühne zu stellen. In seinen Stücken dominieren die privaten Momente, die seine Charaktere an der Umwelt scheitern lassen. Heimliche Wünsche, enttäuschte Hoffnungen und persönliche Defekte.
In Walshs zweitem Stück „The Ginger Ale Boy“ beispielsweise versucht ein schizophrener Bauchredner, einen Talentwettbewerb zu gewinnen. „Mich interessiert, ob Verrückte in der Lage sind, ihren Wahnsinn zu kontrollieren“, sagt Enda Walsh. „Es ist eine verrückte Komödie, ein Musical.“ Die Produktion „Disco Pigs“ erzählt die Geschichte von zwei Jugendlichen, Pig und Runt, die in ihrer eigenen Welt leben. An ihrem siebzehnten Geburtstag machen sie sich auf eine Sauf- und Tanztour durch „Pork Sity“. Ihre Zweisamkeit, die bisher ihre Stärke war, zerfällt dabei. Runt, das Mädchen, beginnt sich zu befreien: „Fuckin' freedom! Jus' da Runt!! Jus' me an da big big colour blue!“
Das Stück geht auf den wirklichen Fall der Gibbons-Zwillinge in Wales zurück, inspiriert durch die beengte Atmosphäre in Cork, der Heimatstadt Walshs im Süden Irlands: „Der Stoff hat mich angezogen, auch wegen Cork. Es ist in ein Tal gezwängt. Wir nennen es einfach das Arschloch, weil es ein ziemlich dunkles Tal ist!“
Disco Pigs ist eine Tour de force für Darsteller und Zuschauer gleichermaßen: Die Schauspieler sprechen einen an „Clockwork Orange“ und Babysprache angelehnten Geheimcode, den das Publikum erst lernen muß. Schwierigkeiten mit der Verständigung zeichnet auch andere Stücke Walshs aus. Neben dem schizophrenen Bauchredner gibt es den Protagonisten des neuen Solostücks „Misterman“, der in seiner Kellerwohnung nur noch mit selbstbesprochenen Kassetten redet. „Das ist ein Charakteristikum meiner Arbeit“, sagt Walsh, „eigentlich kann keiner der Charaktere vernünftig kommunizieren. Sie können keine Verbindung zu anderen herstellen, können nicht normal sein, was immer das ist...“
In seinem letzten Text „Sucking Dublin“, der in Zusammenarbeit mit Jugendlichen aus sozial benachteiligten Stadtteilen der irischen Hauptstadt entstanden ist, zeigt sich Walsh besonders finster: „Zwei der Charaktere, Lep und Fat, sind auf einer endlosen Busfahrt in die Hölle. Es ist ein extrem wildes, dunkles Stück, die Leute versuchen ums Verrecken, aus der Stadt zu fliehen. Es ist das Traurigste, was ich je geschrieben habe!“ Trotz aller Defekte, mit denen er die Figuren kämpfen läßt, verbreitet Walsh aber keine Endzeitstimmung. Seine Welten sind düster, jedoch nicht ohne Hoffnung. Ihn interessiert der Spannungsbogen zwischen einer oft miesen Realität und einem möglichen Ausbruch.
„Ich mag es, emotionale Geschichten zu erzählen. Alle meine Stücke basieren auf klaustrophobischen Situationen des Lebens in Wohnblocks, und trotzdem denke ich, muß man sich erlauben, dem mit Hilfe seiner Einbildungskraft zu entkommen“, erläutert Walsh. „Ich interessiere mich sehr für das Makabre, die dunkle Seite der Dinge, und darin poetische Momente zu finden wie in „Disco Pigs“, als die beiden ans Meer fahren. Ich liebe es, Hoffnung zu sehen. Auch wenn die Hoffnung befleckt und dreckig ist.“
Für das irische Theater der letzten Dekade hat Walsh nicht viel übrig: „Ich gehe gar nicht ins Theater; es deprimiert mich. Es war ganz einfach scheiße in den Achtzigern! Als ich anfing, mich für Theater zu interessieren, gab es keine neuen Stücke. Naja, es gab welche, aber die waren genau wie Fernsehen!“ Auf Improvisation oder Körperarbeit basierendes Theater ist immer noch selten in Irland. Fünfundneunzig Prozent der auf irischen Bühnen gezeigten Produktionen benutzten ein fertiges Stück als Vorlage. Der Dramatiker Walsh findet das falsch: „Was ich am irischen Theater hasse, ist die große Bewunderung, die den Autoren entgegengebracht wird. Es geht doch eigentlich um das Theater, um die Schauspieler; letztlich ist es die Vorstellung, um die sich alles dreht! Go on with the show, you know!“
Auch mit den häufig geäußerten Klagen über die schlechte Situation des Theaters kann Walsh nicht viel anfangen: „Es wird immer gejammert: ,Keiner geht mehr ins Theater!‘, aber die Iren zum Beispiel lieben es auszugehen. Es gibt da eine junge Generation von Leuten, die unsere Stücke sehen. Die erwarten vom Theater Geschwindigkeit, Theatralität! Man muß die Stücke halt wirklich attraktiv machen. Immerhin ist es ein ganzer verdammter Abend, da kann man sich doch nicht hinsetzen und dabei zusehen, wie vorn auf der Bühne Leute reden, das ist doch einfach tödlich!“
Dagegen haben sich Walsh und die Gruppe Corcadorca, deren künstlerischer Leiter er ist, zum Ziel gesetzt, ihre Zuschauer zu „elektrifizieren“. Seit ihrer Gründung vor sieben Jahren haben Corcadorca immerhin schon neunzehn Produktionen auf die Beine gestellt, auch ohne große finanzielle Unterstützung. „Wir fangen einfach an zu arbeiten, egal wieviel Geld wir haben. Dafür haben wir ein großes Publikum junger Leute in Cork, die nur in unsere Vorstellungen gehen. Die haben auch die ganze Vorstellung von ,Clockwork Orange‘ hindurch getanzt: in einem Nightclub.“
In Walshs Stücken ist ein filmischer Einfluß spürbar. Er bevorzugt Fragmente wie aus einer Kamerafahrt vor psychologischen Erklärungsansätzen: „Ich glaube nicht, daß ich jemals damit anfangen werde, die Herkunft von Figuren zu erklären. Sie sind einfach, was sie sind! Was wir verlangen, besonders in Disco Pigs: Wir bitten die Zuschauer, einen Blick in diese Welt zu riskieren.“ Für die Zukunft hat Walsh viele Pläne. „Disco Pigs“ wird verfilmt, allerdings wird sich Walsh trotz der Filmarbeit weiterhin auf das Theater konzentrieren: „I've got loads and loads of stories that I want to fucking tell.“
„Disco Pigs“ von Enda Walsh, Regie: Pat Kiernan, Baracke, Schumannstraße 10, 25.–27. 9., 20 Uhr, am 26. und 27. auch um 16 Uhr
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