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Volksentscheid: Worum geht es? Das Für und Wider und der Wegweiser für die Stimmzettel

Im September 1996 wurde in Hamburg nach jahrelanger Diskussion eine Volksgesetzgebung beschlossen. Die Regeln: Für den ersten Schritt, die Volksinitiative, braucht man 20.000 Unterschriften. Der zweite Schritt, das Volksbegehren, benötigt die Zustimmung von 10 Prozent der Wahlbevölkerung, also rund 120.000 Stimmen. Bei der eigentlichen Abstimmung, dem Volksentscheid, sieht das Gesetz vor, daß 25 Prozent einem einfachen Gesetz ihr „Ja“ geben müssen und 50 Prozent einer Verfassungsänderung.

Die Initiative „Mehr Demokratie“ findet diese Hürden zu hoch. Sie will, daß immer die Mehrheit der abgebenen Stimmen gilt, auch wenn nur 5 oder 10 Prozent der WählerInnen überhaupt mitgemacht haben. Also machte sie sich daran, einen Volksentscheid zum Volksentscheid zu organisieren. Die ersten beiden Schritte meisterte „Mehr Demokratie“ problemlos.

Die Koalitionspartner SPD und GAL stritten monatelang, wie man auf diesen Erfolg reagieren soll. Die GAL unterstützte uneingeschränkt „Mehr Demokratie“, mußte sich letztlich aber auf einen Kompromiß einlassen: Der „Gesetzentwurf der Bürgerschaft“ sieht vor: Die ersten beiden Schritte werden auf das Niveau von „Mehr Demokratie“ abgesenkt, also halbiert.

Beim Volksentscheid gibt es zwei Varianten. Wenn sich ein Drittel der Wahlbevölkerung beteiligt, gilt die Mehrheit. Gehen weniger zur Abstimmung, müssen mindestens 20 Prozent „Ja“ sagen.

Argumente von „Mehr Demokratie“:

Das Prinzip „Mehrheit siegt“ gilt bei allen anderen Abstimmungen auch. Zum Beispiel ist keine Mindestbeteiligung bei Parlamentswahlen vorgesehen. Wenn es Hürden gibt, können die Gegner einfach zum Boykott aufrufen und schon scheitert das Anliegen. Direkte Mitbestimmung ohne Beschränkungen klappt in Bayern. Das Volk entscheidet so gut und so schlecht wie Politiker auch.

Argumente der Bürgerschaft:

Volkes Wille ist nicht von Natur aus gut. Eine demokratische Entscheidung setzt voraus, daß auch ein angemessen großer Anteil der Bevölkerung seinen Willen zum Ausdruck gebracht hat. Die Volksvertreter brauchen ja sogar eine über 50prozentige Mehrheit, um ein Gesetz zu beschließen. Wenn es keine Hürden gibt, könnten Entscheidungen kleiner Gruppen zu Lasten von Minderheiten gehen – etwa gegen Flüchtlingsunterkünfte. „Mehr Demokratie“ bedeutet in Wahrheit weniger Demokratie.

 Sie wollen nichts ändern:

Sie finden die jetzige Regelung bei der Volksgesetzgebung völlig ausreichend und wollen auch keine „Bürgerentscheide“ (Volksentscheide auf Bezirksebene) einführen. Das Volk hat ihrer Ansicht nach genug Mitbestimmungsmöglichkeiten. 25 Prozent Ja-Stimmen für ein einfaches Gesetz und 50 Prozent für eine Verfassungsänderung sind als Meßlatten völlig in Ordnung. Sie stimmen: Auf dem rosa Zettel (Landesebene) beide Male „Nein“ und auf dem grünen Zettel (Bezirk) ebenso.

Sie wollen ein bißchen ändern:

Sie halten es für angemessen, die Regeln etwas zu erleichtern, und befürworten direkte Demokratie auch auf Bezirksebene. Also kreuzen Sie den „Gesetzesentwurf der Bürgerschaft“ mit „Ja“ an und stimmen beim „Gesetzentwurf des Volksbegehrens“ mit „Nein“. Ebenso stimmen Sie auf dem grünen Zettel für die Bezirke.

Sie wollen radikal ändern:

Sie halten die bayrischen Regelungen für vorbildlich und lehnen alle Hürden ab. Das Argument, kleine Gruppen könnten etwa Minderheiten aufmischen u.ä., halten Sie für eine Schutzbehauptung. Also stimmen sie dem „Gesetzesentwurf des Volksbegehrens“ auf dem rosa und auf dem grünen Zettel zu. Bei dem Entwurf der Bürgerschaft kreuzen Sie „Nein“ an.

Sie wollen auf jeden Fall etwas ändern:

Sie sind der Ansicht, daß jede Änderung der augenblicklichen Gesetzeslage eine Verbesserung darstellt. Sollte der Entwurf von „Mehr Demokratie“ nicht durchkommen, wäre auch der der Bürgerschaft ein wesentlicher Fortschritt. Sie stimmen deshalb auf dem rosa und auf dem grünen Zettel bei beiden Entwürfen mit „Ja“.

Sie haben Zweifel bei den Bezirken:

Sie befürworten Volksentscheide auf Landesebene. Auf Bezirksebene fürchten Sie aber, daß dann jedes Behindertenheim und jede Tempo-30-Zone Straßen verhindert werden könnte. Sie kreuzen also eine der beiden Möglichkeiten auf dem rosa Zettel mit „Ja“ an und stimmen auf dem grünen Zettel zweimal mit „Nein“.

Wer gewinnt?

Für die Verfassungsänderung auf Landesebene werden 50 Prozent Ja-Stimmen gebraucht. Wer die Marke überschreitet, dessen Vorschläge werden Gesetz. Erreicht keiner der beiden Entwürfe die erforderlichen Stimmen, ist's gescheitert. Dann aber wird die Bürgerschaft voraussichtlich hinterher ihren Entwurf auf parlamentarischem Wege umsetzen. Sind beide, „Mehr Demokratie“ und Bürgerschaftsentwurf, erfolgreich, sind die meisten Ja-Stimmen ausschlaggebend. Auf Bezirksebene gilt im Prinzip dasselbe, allerdings sind hier nur 25 Prozent „Ja“-Stimmen erforderlich, weil's ein einfaches Gesetz ist.

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