Migranten nutzen das gesamte Parteienspektrum

■ Die einen wählen CDU, die anderen Grün. Manche wählen PDS, manche gar nicht. Ein Bericht über das teils traditionsbewußte, teils politisch motivierte Wahlverhalten der eingebürgerten Migranten

Die 27.000 eingebürgerten Türken in Berlin nehmen sich bescheiden aus gegen wahlberechtigte Zuwanderer aus Rußland, Kasachstan, der Ukraine und Polen. Allein die Aussiedler aus den GUS- Staaten und ihre in den letzten Jahren eingebürgerten Familienangehörigen stellen in Berlin 110.000 Wahlberechtigte. Mehrheitlich, da sind sich Experten einig, sind das Stimmen für die CDU.

Zumeist bringen die deutschstämmigen Zuwanderer wertkonservative bis deutschnationale Weltbilder bereits aus den GUS- Staaten mit. Aber die Enttäuschung mit der sozialen Situation in Deutschland ließ die Uniontreue in den letzten zwei Jahren etwas aufweichen. Die Konservativen verstehen es aber dennoch, die Treue zum Kanzler aufrechtzuerhalten. In den letzten Wochen sind die russischsprachigen Zeitungen voll von kanzlerfreundlichen Beiträgen. Aber auch andere Parteien sind nicht untätig. In Marzahn bewirbt sich ein Rußlanddeutscher für den rechtsnationalen Bund freier Bürger um ein Direktmandat und macht sich die Unzufriedenheit dieser Gruppe mit ihrer sozialen Situation zunutze.

Die polnische Gemeinde in Berlin wird etwa 100.000 Wählerstimmen auf sich vereinen, schätzt Withold Kaminski vom polnischen Sozialrat. Etwa drei Viertel von ihnen sind Aussiedler, die in den 70er und 80er Jahren kamen. Anders als bei den Rußlanddeutschen spielten Deutschnationalismus und konservative Leitbilder bei den Aussiedlern aus Polen praktisch keine Rolle, ist sich Kaminski sicher. „Die polnischen Aussiedler haben mit der von der CDU propagierten Assimilation in die deutsche Kultur schlechte Erfahrungen gemacht und beziehen sich jetzt wieder auf die polnische Kultur.“ Auf einer Wahlveranstaltung vor Zuwanderern aus Polen im Haus der Kulturen der Welt bekam die Bündnisgrüne Andrea Fischer mit Abstand den meisten Zuspruch. „Es gibt keine Meinungsumfragen, aber ich schätze, die Bündnisgrünen stehen nicht nur unter den Besuchern unserer Veranstaltung hoch im Kurs“, sagt Kaminski.

Neben den Grünen räumt Kaminski auch der FDP eine Chance ein. „Die Orientierung auf die Freiheit des einzelnen hat in der polnischen Kultur eine große Tradition.“ Die Themen, an denen die Deutschen aus Polen ihre Wahlentscheidung festmachen, seien vor allem Migrationspolitik und die Polenpolitik. Die beiden großen Parteien hätten Kaminski zufolge kaum eine Chance, weil sie „mit Ausnahme des Kniefalls von Willy Brandt nie großes Verständnis für polnische Befindlichkeiten aufgebracht haben.“ Gleiches gilt für die PDS, deren Votum gegen die Nato auch als Votum gegen einen Beitritt Polens zum Militärbündnis wahrgenommen werde.

Der Türkische Bund geht davon aus, daß die Wahlbeteiligung der Deutschen türkischer und kurdischer Abstammung außerordentlich hoch sein wird. Zwei Drittel der 27.000 Deutschtürken dürften erstmals wählen und würden überwiegend von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen. Der kurdischstämmige bündnisgrüne Abgeordnete Ismail Kosan vermutet, daß die Stimmen überwiegend der SPD zugute kommen. „Für die Bündnisgrünen rechne ich mit maximal 15 Prozent. Das ist angesichts unserer Bemühungen um eine humane Migranten- und Flüchtlingspolitik zuwenig.“ Der Grund: Bei der Wahlentscheidung spielten oft familiäre Traditionen eine größere Rolle als die Situation in Deutschland. So würden Kosan zufolge den Islamisten nahestehende Deutschtürken schon aus der Tradition heraus konservativ wählen. Hingegen rechnet Kosan mit einem hohen Zuspruch der Deutschgriechen. „Die Menschen suchen in unserer Fraktion Ansprechpartner, wenn sie Probleme mit Behörden oder mit Rassismus haben.“ Allerdings: Die Zahl der Einbürgerungen bei Griechen ist gering, so daß ihre Stimmen kaum ins Gewicht fielen.

Das ist bei anderen Migrantengruppen nicht anders. Die PDS kann mit den Stimmen der wenigen Deutschpalästinenser rechnen, ist sich Sozialberater Walid Charhour vom DRK sicher. Die DDR hatte seinen Landsleuten politisches Asyl gewährt und ihnen Studienplätze finanziert, so daß es traditionelle Bindungen und linke Orientierungen gebe. „Meine Landsleute schätzen vor allem, daß die PDS sich nach der Wende für die Weiterzahlung der Stipendien eingesetzt hatte“, sagt Charhour.

Weniger wahlfreudig werden sich die eingebürgerten Vietnamesen erweisen. „Die Wahl spielt in Gesprächen kaum eine Rolle. Ich glaube, es geht kaum jemand hin. Die Leute haben andere Sorgen“, sagt ein Sprecher der Vereinigung der Vietnamesen. Marina Mai