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■ Zum Auftakt der Basketball-Europaliga holt sich das stark verjüngte Team von Alba Berlin seinen ersten Dämpfer gegen ZSKA Moskau ab

Berlin (taz) — Eigentlich war alles wie immer bei Alba Berlins erstem Spiel in der Basketball-Europaligasaison 98/99. Gegen Rußlands Meister ZSKA Moskau kämpfte sich das Team von Svetislav Pesic nach verpatzter erster Halbzeit und einem fast schon hoffnungslosen Rückstand Punkt für Punkt wieder heran und stand drei Minuten vor Schluß kurz vor dem Ausgleich. Die 6.153 Zuschauer in der Max-Schmeling- Halle tobten, denn die Dramaturgie kam ihnen durchaus bekannt vor. Im letzten Jahr hatte Alba derartig knappe Partien fast immer mit hauchdünnem Vorsprung gewonnen. Diesmal blieb das Happy- End aus. „Wir haben die Ruhe verloren“, analysierte Pesic später den plötzlichen Knick im Alba-Spiel. Als Trainersohn Marco überhastet zum Korb zog, den Ball verlor und der Lette Gundars Vetra im Gegenzug einen Dreier versenkte, war das Match entschieden. Moskau siegte mit 70:63.

Keine große Sache, versuchte Coach Pesic die Niederlage anschließend kleinzureden, „auch letzte Saison haben wir nicht alle Heimspiele in der Europaliga gewonnen.“ Die ersten aber schon, zudem sind Punktverluste in eigener Halle diesmal besonders bitter. ZSKA Moskau ist zwar praktisch identisch mit der russischen Nationalmannschaft, die vor wenigen Wochen Vizeweltmeister wurde, aber dennoch keineswegs der Favorit in einer überaus stark besetzten Gruppe C, der neben Ülker Istanbul und KK Zadar mit Kinder Bologna und Olympiakos Piräus die Europacupsieger der letzten beiden Jahre angehören. Nächste Woche kommen die Griechen, und wenn dann nicht gewonnen wird, ist ein Platz unter den ersten drei, der in der Zwischenrunde die leichteren Kontrahenten bringen würde, fast schon utopisch.

Ein Erreichen der Play-offs wie in den letzten beiden Jahren wäre diesmal ein kleines Wunder, denn die Partie gegen ZSKA zeigte deutlich, woran es dem stark verjüngten Alba-Team mangelt. Auf der einen Seite standen die abgeklärten Moskauer, die sich nicht aus der Ruhe bringen ließen, souverän ihre Angriffe ausspielten, bis jemand frei stand und, angeführt von Alba-Flüchtling Wassili Karassew, immer wieder Wege fanden, den Ball in den Korb zu bugsieren; auf der anderen Seite eine durch sechs Bundesligasiege in Folge und einen furiosen Auftakt gegen ZSKA übermütig gewordene Berliner Mannschaft, die im Glauben, den russischen Meister genauso überrennen zu können wie Oberelchingen oder Leverkusen, in der ersten Halbzeit das Rebounden vergaß und in wichtigen Phasen die Übersicht verlor.

„Gegen eine Mannschaft wie ZSKA kannst du nur gewinnen, wenn du erst mal die kleinen Ziele erreichst“, rügte Pesic, „wir aber wollten sofort gewinnen.“ Sobald ein Wurf der Russen am Korbrand abprallte, hetzte die gesamte Alba- Meute zum Fast-break davon und merkte erst jenseits der Mittellinie, daß unter dem heimischen Korb nur noch ein einsamer Femerling oder Hammink stand, und, umgeben von lauter russischen Riesen, nicht die mindeste Chance hatte, den Ball zu erhaschen. Nur neun Rebounds landeten vor der Pause bei Alba, 29 schnappten sich die Moskauer. Da half es wenig, daß die Berliner exzellent verteidigten, die zweite Chance ließ sich Moskau selten entgehen.

„Mit Emotionen allein kann man solche Spiele nur selten gewinnen“, sagte Svetislav Pesic, der den Moskauern bescheinigte, „die ganze Zeit über“ besser gespielt zu haben. Auschlaggebend sei schließlich aber die „große Erfahrung von ZSKA“ gewesen. Diesbezügliche Defizite beim deutschen Meister wurden besonders deutlich, wenn Wendell Alexis, mit 20 Punkten bester Alba-Werfer, auf der Bank saß, zumal sich Kapitän Rödl schon früh verletzt hatte und Neuzugang Nakic kaum etwas zustande brachte. Die jungen Spielmacher Pesic, Bogojevic und Kiwane Garris wirkten oft ratlos, letzterer war an seinem 24. Geburtstag zwar stark in der Verteidigung gegen seinen Vorgänger Karassew, in der Offensive jedoch zögerlich und wenig wirkungsvoll.

Um so mysteriöser, daß der Trainer ausgerechnet Jörg Lütcke, der mit neun Punkten in Folge maßgeblich an der Aufholjagd der Berliner beteiligt war, in den letzten drei Minuten nicht mehr einsetzte. Daß er mit dieser Entscheidung selbst nicht glücklich war, ließ seine entrüstete Antwort auf diesbezügliche Fragen erkennen, die sogar noch mysteriöser ausfiel: „Drei Minuten sind dreimal sechzig Sekunden.“ Matti Lieske

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