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Die heilige Stadt des Marabout

Nach Touba pilgern jährlich Millionen Senegalesen zum Grab des Sufi-Heiligen Amadou Bamba. Die Macht der Regierung endet vor den Toren Toubas, denn der Kalif ist Herrscher im Reich der Mystiker  ■ Von Ahmad Taheri

Die Erde ist von rötlichem Braun. Auf der breiten Straße, die von Dakar, der Hauptstadt Senegals, in nordöstlicher Richtung ins Landesinnere führt, herrscht ewiger Stau. Im Schneckentempo rollen überfüllte Busse, Lastwagen und Pkw voran. Die Senegalesen pilgern zum Magal, dem „Großen Treffen“, nach Touba, der heiligen Stadt. Jedes Jahr wird drei Tage lang im „Mekka Senegals“, dem Exil von Amadou Bamba, des Gründers des mystischen Mouriden-Ordens, der in Touba begraben ist, gedacht.

Eineinhalb Millionen Menschen sind zum diesjährigen Magal nach Touba gekommen. Die Stadt, die gewöhnlich 150.000 Seelen zählt, platzt aus allen Nähten. Hunderttausende von Menschen umgeben Tag und Nacht das Mausoleum, wo Amadou Bamba seit 1927 ruht. Die bombastische Grabmoschee mit weißem Gemäuer und pistaziengrüner Kuppel wurde 1963 von einer koreanischen Firma errichtet. So sieht sie auch aus. Die „Ka'aba der Mouriden“ ist keine Zierde islamischer Baukunst.

Der Sufi-Heilige Amadou Bamba aus dem Dorfe Mbacke, geboren 1850, hatte Ende des vergangenen Jahrhunderts unweit von seinem Heimatort die Stadt Touba gegründet. Die Ortschaft inmitten des Buschs sollte ein zweites Medina werden. Als der fromme Scheich, von dem allerlei Wundertaten erzählt werden, immer mehr Zulauf erhielt, befürchteten die französischen Kolonialherren, er könnte, wie vor ihm ein anderer Sufi-Scheich, zum Heiligen Krieg aufrufen. So wurde der „Meister von Touba“ nach Gabun verbannt. Dort, so heißt es in der Legende, verbrachte er „sieben Jahre, sieben Monate und sieben Tage“. „Ich wurde wie die Sonne“, schrieb er, das heißt: erleuchtet von Gott.

Die Verbannung machte aus dem heiligen Mann einen Helden. Als Amadou Bamba Mbacke in die Heimat zurückkehrte, wurde er wie ein Messias empfangen. „Für die Mouriden“, sagt Kadim Mbacke, ein in Paris studierter Islamwissenschaftler und mit dem Ordensgründer verwandt, „ist Amadu Bamba heiliger als der Prophet selbst.“

Das Große Treffen in Touba ist auch das große Geschäft. Rund um das Heiligtum hat sich ein bunter Markt ausgebreitet. Verkauft wird hier alles, was das Land anzubieten hat: Früchte, Gemüse, Nüsse, Fisch, Tücher, Lederwaren, Plastiksandalen, Weihrauch, Tigerzähne, Schlangenhäute. Für einen Quadratmeter Verkaufsstand zahlen die Händler etwa acht Mark an die Kasse des Ordens, wodurch mehrere Millionen Franc zusammenkommen.

Die verschiedenen Dara, die Zirkel, denen ein Marabout vorsteht, sorgen dafür, daß Touba während des Magal nicht im Chaos versinkt. Hizbut tarqiya, die Partei des Fortschritts, wie der Studentenverband der Mouriden sich nennt, kümmert sich um die armen Pilger. „Dem Volke dienen“ ist ihr Leitspruch. Auf einem riesigen Gelände neben der Parteizentrale stehen Hunderte von Kesseln auf dem Feuer. Frauen bereiten das Festessen: Hirse und Hammelfleisch. Junge Männer, die mit ihren kahlgeschorenen Köpfen und ihren langen, mit einem Ledergürtel zusammengehaltenen Kutten aussehen wie tibetanische Mönche, laden das Essen auf Lastwagen. Das gläubige Volk wartet vor dem Mausoleum auf Speisung.

Ein anderer Zirkel, die Baay- fall, ist zuständig für Ruhe und Ordnung in der heiligen Stadt. Erkennbar sind die Männer von weitem durch ihr Outfit. Sie tragen Rastafrisuren, karierte Gewänder, die die Flickenkutte der klassischen Sufis symbolisieren, und mächtige Holzkeulen an ihren Gürteln.

Die Baay-fall sind die Sittenwächter der Stadt. Wer die Gesetze der Touba überschreitet, muß mit ihrem frommen Zorn rechnen. Nicht nur Alkohol ist in Touba strengstens verboten, sondern auch Nikotingenuß.

Sexuelle Enthaltsamkeit gehört nicht zu den Geboten des Ordens. Die Harems der etwa zweihundert größten Marabouts, die alle zum Hause Mbacke gehören, zählen häufig weit mehr als vier Frauen, wie sie der Koran erlaubt. Nur der Kalif, das Oberhaupt des Ordens, Serigne Salou Mbacke, hält sich an die Heilige Schrift. Er hat nur vier Gemahlinnen. Sein Bruder und designierter Nachfolger aber darf neun senegalesische Frauen sein eigen nennen. Für die Anhänger der Mouriden ist es eine große Ehre, ihre Tochter einem Ordensscheich zur Frau zu geben.

Auch ansonsten genießen die Marabouts das Leben. Ihre Häuser sind kleine Schlösser. Sie fahren teure Limousinen aus Deutschland oder Frankreich. Geld haben die heiligen Männer reichlich. Die Anhänger spenden monatlich einen Teil ihres Einkommens den Ordensführern zu wohltätigen Zwecken.

Doch das große Geld kommt aus der Erdnußproduktion, die vorwiegend in den Händen der Mouriden liegt. Die Taleba, die Novizen, haben in den vergangenen Jahrzehnten große Gebiete im Landesinneren urbar gemacht. Noch heute arbeiten die halbwüchsigen Schüler in den Ländereien der Scheichs. Ihr Lohn besteht lediglich in der Unterweisung im Koran. Die Arbeit hatte Amadou Bamba heiliggesprochen. „Sei wie der kleine, mit Hirse beladene Esel, der seine eigene Last nicht frißt“, hatte der Diener des Propheten gelehrt.

Dank ihres Reichtums und ihrer treuen Anhängerschaft, die etwa ein Drittel der Bevölkerung ausmacht, sind die Mouriden ein Staat im Staate. Die Macht der Regierung endet vor den Toren Toubas. Der Kalif ist der Souverän im Reich der senegalesischen Mystiker. Keine Regierung hat in Dakar die Chance, länger an der Macht zu bleiben, wenn ihr die Marabouts den Segen verweigern. Der derzeitige Präsident, Abdou Diouf, ein sunnitischer Muslim, versäumt keine Gelegenheit, den Herren von Touba seine Aufwartung zu machen. Besonders zu Wahlzeiten stehen die Marabouts hoch im Kurs. Ein Ordensscheich kann seiner Gefolgschaft befehlen, für diese oder jene Partei zu stimmen. Der Gehorsam dem Scheich gegenüber ist das höchste Gebot des Ordens. Das arabische Wort „Mourid“ bedeutet nichts anderes, als sich dem Willen eines „Mourad“, eines Meisters, unter völliger Hingabe seiner selbst zu unterwerfen. „Wie eine Leiche in den Händen des Leichenwäschers“, lehrte Amadou Bamba.

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