: Überwiegend positiv
■ Was machen Waldorfschüler im weiteren Leben? Alles mögliche, meint Hans-Jürgen Bader vom Bund der Freien Waldorfschulen
taz: Der Bund der Freien Waldorfschulen beschäftigt sich nicht nur mit den heutigen Schülern, sondern verfolgt auch Lebensläufe von „Ehemaligen“. Welche Bedeutung hat die Waldorfschule für den späteren Werdegang?
Hans-Jürgen Bader: Natürlich übt die Waldorf-Erziehung einen Einfluß auf die Schüler aus, der sich aber individuell ganz unterschiedlich ausprägt. Der beste Weg zu einer Bewertung ist es sicherlich, Lebenswege ehemaliger Waldorfschüler kennenzulernen.
Wie sehen denn solche Lebenswege typischerweise aus?
Typische Lebenswege gibt es wohl nicht. Untersuchungen haben aber ergeben, daß Waldorfschüler im Vergleich zu anderen stärker auf selbständiges Arbeiten sowie auf soziale und kulturelle Aspekte Wert legen. Sicherheit im Berufsleben zählt dagegen weniger. Gleichzeitig zeigt sich eine größere Bereitschaft, Ausbildung und Beruf zu wechseln. Die Arbeitslosigkeit ist unter Waldorfschülern deshalb deutlich geringer.
Was will die Waldorfschule ihren Schülern über die reine Wissensvermittlung hinaus mit auf den Weg geben?
Da wären vor allem die soziale, die Handlungs- und Personalkompetenz, die Mobilität, die Kooperations- und Gemeinschaftsfähigkeit und der Respekt vor den Leistungen anderer zu nennen.
Spiegelt sich das Gewicht, das die Waldorf-Pädagogik auf künstlerische und kreative Fächer legt, im späteren Lebensweg der Schüler wider?
Unmittelbar drückt sich dies wohl sicher auch in stärkeren künstlerischen und praktischen Aktivitäten im späteren Leben aus. Aber wichtiger erscheinen die indirekten Wirkungen. Jeder Unterricht soll künstlerisch sein, also lebendig gestaltet werden, das weckt Interesse, fördert das lebenslange Lernen und den Selbstgestaltungswillen. Und es fördert auch die intellektuellen Fähigkeiten. Heute ist wissenschaftlich untermauert, was Waldorfschulen schon von jeher zu wissen glaubten: daß etwa die musikalische Erziehung durch Lernen eines Instrumentes die Intelligenz signifikant positiv beeinflußt.
Gibt es Defizite, die Waldorfschüler nach Abschluß ihrer Schullaufbahn aufweisen?
Ein Defizit ist es vielleicht nicht, was ich hier nennen würde, aber es gibt ein Risiko. Wenn die Pädagogen sich nicht zusammen mit den Kindern entwickeln und wandeln, kann es passieren, daß der Klassenlehrer, der an der Waldorfschule eine Gruppe ja über acht Jahre lang führt, zu einer Belastung wird. Mit anderen Worten: Es kommt in der Waldorfschule mehr als anderswo auf den Lehrer und auf seine Selbsterziehung an.
Was wissen Sie über das rückblickende Urteil der Schüler?
Die Beurteilung ist ganz überwiegend positiv. Es gibt natürlich auch negative Stimmen. Ein Beleg für die positive Beurteilung ist die zunehmende Nachfrage und die seit Jahrzehnten wachsende Zahl von Waldorfschulen, deren Gründungseltern zu einem hohen Anteil selbst Waldorfschüler waren. Und das obwohl die finanziellen und rechtlichen Benachteiligungen gegenüber staatlichen Schulen in letzter Zeit erheblich zugenommen haben. Nicht ohne Grund beklagte ja auch Bundespräsident Roman Herzog in seiner berühmten „Ruck“-Rede die mangelnde Vielfalt im Bildungswesen. Interview: Gerlind Vollmer
In der kommenden Woche erscheint ein Buch zum Thema: Monika Schopf-Beige: „Bestanden. Lebenswege ehemaliger Waldorfschüler“. Verlag Freies Geistesleben, 120 S., 29 DM
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