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Heiße Kartoffeln oder eine Herausforderung?

■ Stimmen zum Erfolg des Volksbegehrens in den Bezirken

Anne Harms, Fluchtpunkt e.V.:

„Gerade auf bezirklicher Ebene sind Volksentscheide äußerst problematisch – obwohl ich grundsätzlich für Basisentscheidungen bin. Aber jetzt kann in einem Stadtteil eine vermeintliche Mehrheit gegen alles stimmen, wofür eine Gesellschaft nun einmal Verantwortung zu tragen hat: Flüchtlingsunterkünfte oder Fixerstuben. Was, wenn das alle Bezirke tun? Zumal zum Beispiel die betroffenen Flüchtlinge gar nicht mitentscheiden dürfen. Meine Vorstellung von Demokratie ist nicht, daß jede kleine Gruppe ihre Interessen durchsetzt.“

Uwe Westphal, Naturschutzbund (NABU) Hamburg:

„Schade, daß es nicht auch auf Landesebene mit der Senkung der Hürden geklappt hat. Großprojekte wie die DASA-Erweiterung im Mühlenberger Loch könnte man dann besser stoppen. Auf bezirklicher Ebene wird der NABU den Bürgerentscheid eventuell nutzen. Kritisch ist es natürlich bei Projekten wie dem Naturschutzgebiet Raakmoor, wo es Widerstände der Bevölkerung gibt. Aber wirkungsvoller Naturschutz läßt sich sowieso nicht gegen den Willen der Bürger durchsetzen.“

 Nikolaus Schües, Präses der Handelskammer Hamburg:

„Mit der neuen Regelung sind Partikularinteressen und Bürgeregoismen Tür und Tor geöffnet. Es droht die Gefahr, daß die Bezirke sich künftig nur Rosinen herauspicken, Gemeinschaftslasten aber wie heiße Kartoffeln weiterreichen.“

Sabine Schulze, Autonom Leben e.V.:

„Auf der einen Seite besteht die Gefahr, daß die in der Bevölkerung latent vorhandene Behindertenfeindlichkeit jetzt schneller zum Ausdruck kommt, weil die Hemmschwellen niedriger sind. Einen Bürgerentscheid gegen ein Behindertenheim halte ich nicht für ausgeschlossen. Auf der anderen Seite bin ich auch optimistisch, daß die Bürger das Instrument verantwortungsbewußt nutzen. Grundsätzlich ist es sicher besser, wenn Entscheidungen direkt vom Volk getragen werden.“

Helmuth Schmidtke, Sozialpolitische Opposition:

„Meine Bedenken überwiegen. Es ist nun einmal so, daß sich die Besserverdienenden immer lauter zu Wort melden. Sozial benachteiligte Gruppen machen von ihrem Mitspracherecht weniger Gebrauch. Deswegen besteht sicher die Gefahr, daß jetzt in Vierteln wie Blankenese oder Alstertal die Einwohner egozentrisch versuchen werden, ihre Matte sauber zu halten.“

Thomas Zurborg, Drogenberatungsstelle Café Drei:

„Wir bewerten eine Mitbestimmung des Volkes eher positiv. Sicher gibt es viele Vorurteile in der Bevölkerung, zum Beispiel gegen Fixerräume. Aber wir haben die Erfahrung gemacht, daß man die Leute auch überzeugen kann. Neu ist, daß dafür bei einem Bürgerentscheid alle gesellschaftlichen Gruppen gefragt sind, nicht nur die Politiker. Diese Herausforderung schult auch das demokratische Verständnis. Und wenn die Dummheit sich durchsetzt, tja, dann muß man das vielleicht auch erst einmal akzeptieren.“  

Ulrich Meinecke, Geschäftsführer der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (hbv) Hamburg:

„Ich hätte mir eine Mindestbeteiligung gewünscht. Meine Sorge ist, daß zahlungskräftige Minderheiten zukünftig ihre partiellen Interessen durchsetzen.“ Umfrage: hedi/kva

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