: Drückermethoden Von Michael Rudolf
Gestern fand ich bei Entrümpelungsarbeiten in unserem Riesenhaus meinen Pflegevater wieder, er war noch ganz beömmelt. Seit Silvester will er gefesselt im Kohlenverschlag gelegen haben. Wir hatten schon mal gesucht, ihn dann aber „irgendwie“ (S. Burdach) vergessen. Ohne ihn loszubinden, befragte ich ihn zunächst turnusgemäß auf sein Gewissen bezüglich Silvesterknallerei: „Hastu wieder geknallt, du perverse Sau!?“ Obwohl es ja ehrlich gesagt schon längst verjährt wäre.
„Immer dasselbe. Brot statt Böller oder umgekehrt. Ach was, lieber knalle ich der Ditfurth noch ein paar – wenn ich denn könnte!“ lallte er sinngemäß, aber durchaus glaubwürdig vor sich hin. Keine Frage, er schien es ernst zu meinen. Langsam versuchte er, Ruhe und Ordnung in seine Extremitäten zu bringen.
„Wie? Was? Sprich in zusammenhängenden Sätzen zu mir!“ hakte ich nach.
Langsam kam er zu sich. „Pflegesohn, ich habe Schande über unser Haus gebracht. Unser Untergang ist beschlossene Sache. Einen Leserbrief an die ÖkoLinX hatte ich leichtsinnergerweise verfaßt und besagte Dame zu einem informellen Streitgespräch mit der Inaussichtstellung eines Probeabos eingeladen.“
„Das ist ja zum Sexistischwerden!!“ rief ich mit Unterstützung zweier Ausrufezeichen.
„Schlimmer, Pflegesohn. Es war furchtbar. Ich hatte gerade dieses grauenhaft schlechte Black Sabbath-Album „Live Evil“ aufgelegt, wovon du am Buchmessestand der taz immer Gastspiele auf der Preßluftgitarre gibst, da kam sie schon hereingestampft und gab sich als Schriftleiterin der Zeitschrift ÖkoLinX zu erkennen. In Windeseile band sie mich beim Zündkerzenschein meines plutoniumbetriebenen Rollstuhls an dessen Brennstäbe und hielt mir einen ziemlich abgenutzten Abo-Coupon vor die Nase. Ein gequältes Lächeln ließ sich zwischen meinen noch gequälteren Zügen erkennen. Sie erkannte es nicht. Pflegesohn, ich fing an zu hadern und zu bereuen.
Unentwegt ratterten Aphorismen ökolinkischen Postwurfsendungsbewußtseins aus ihr hervor. Meine Fesseln lösten sich nur, weil ich vor Angst auf ein Drittel meines Normalmaßes geschrumpft war. Fauchend hatte sie mir ein Ökoschaumweinpräparat injiziert, mir eine BGS-Uniform übergeworfen, und schon begann der Streit, wer oben liegen darf. Rat' mal, wer gewonnen hat. Dann riß sie sich den mausbraunen Breitcord von den ,Beinen‘. Ein gezielter Hieb mit ihrer Tonschiefersandalette kugelte mir das Steißbein aus. O weh! Gleich, dachte ich, gleich werde ich tot. Mit letzter Kraft wimmerte ich um Gnade und sank wie betäubt unter ihrem extra noch einmal mit dem Waffeleisen nachgebrannten Lockenmeer dahin. Ja, sie war unersättlich. Ob ich jetzt endlich den Abo-Coupon ausfüllen wolle – mir wurde ganz schwarz vor Augen, ich wollte und konnte nichts mehr sehen. Dann wurde es dunkel. Von da ab kann ich mich an nix mehr erinnern. Pflegesohn, ich glaube fast, sie hat meine Unterschrift gefälscht. Aber ich trau' mich nicht zu kündigen, dann geht das wieder von vorne los. So oder so. Wir sind verloren.“
Stimmt, auch ich hatte davon gelesen. „Hurra! Abonnentenstamm verdoppelt!“ hieß es in der neuesten Nummer der ÖkoLinX. Aber: Methoden sind das.
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