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Ringstorff on the rocks

■ Kühl, publikumsscheu und unnahbar: der Wahlsieger von Mecklenburg-Vorpommern, Harald Ringstorff. Zwecks Regierungsbildung werden seine Sozialdemokraten am Donnerstag mit der CDU sprechen, am Freitag mit der PDS.

Wo bloß bleibt der Mann? Seit knapp eineinhalb Stunden sind die Wahllokale geschlossen, und seitdem ist klar: Der neue Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern wird Harald Ringstorff heißen. 34,3 Prozent haben seine Sozialdemokraten bei der Landtagswahl am Sonntag geholt, 4,8 Prozent mehr als vor vier Jahren. Erstmals seit der Wende ist damit die CDU, deren Landesvater Berndt Seite eine zuletzt völlig zerstrittene Große Koalition anführte, von der Regierung abgelöst worden. Ringstorff, der Sieger, wird sich in den nächsten Wochen ganz genüßlich aussuchen können, ob er lieber mit der PDS (24,4 Prozent) oder der CDU (30,2 Prozent) koaliert. Mehr als drei Parteien werden auch im neuen Landtag nicht vertreten sein.

Doch der SPD-Spitzenmann ist abgetaucht. Er, der Gewinner dieser Wahl, schickt statt dessen den SPD-Sozialminister Hinrich Kuessner vor die Kameras, die „Freude über dieses gute Wahlergebnis“ zu kommentieren. Erst kurz vor halb acht fühlt sich der stets bedächtige Ringstorff sicher: CDU-Ministerpräsident Seite hat soeben sein Amt niedergelegt.

Ein scheues Lächeln huscht über das Gesicht des Bärtigen, als er verkündet, daß „die CDU mit ihrer Polarisierungspolitik von den Wählern abgestraft worden ist“. Knapp acht Prozentpunkte haben die Christdemokraten verloren. Bis zuletzt sahen sie „blühende Landschaften“ in Mecklenburg- Vorpommern, wo die Arbeitslosigkeit mit 17,5 Prozent die zweithöchste in Deutschland ist. Gestern dann schob CDU-Fraktionschef Eckhardt Rehberg die Schuld für das Wahldebakel auf Bonn. Jeder andere würde das für sich ausschlachten. Nicht so Ringstorff. Nein, eine strahlende Siegerfigur gibt er nicht ab. Eher verhalten wirkt er, so als traue er noch nicht so recht dem eigenen Erfolg.

Dabei ist Ringstorff nach langen Jahren der Enttäuschung seit Sonntag endlich am Ziel: Viermal schon hat er probiert, an die Regierungsspitze im nordöstlichsten Bundesland zu kommen. Immer erfolglos. Erst setzte ihm die Bundespartei 1990 mit Klaus Klingner einen Westimport vor die Nase. Vier Jahre später dann durfte zwar Ringstorff als Spitzenkandidat antreten, konnte sich aber gegen Landesvater Seite nicht durchsetzen. Während der Werftenkrise 1996 hoffte Ringstorff auf seine Stunde – doch die Bundes-SPD und selbst Teile der Schweriner SPD hielten wenig von seinen Absichten, mit der PDS gemeinsame Sache zu machen.

Heute freilich ist das anders – SPD-Bundesparteichef Oskar Lafontaine hat nichts mehr gegen Rot-Rot im Osten. Doch die zermürbende Erfahrung der Vergangenheit prägt einen wie Ringstorff, der selbst von eigenen Parteigenossen als „machtversessen“, „knorrig“, aber auch „kleinlich“ und zuweilen nachtragend beschrieben wird. Und so läßt sich Ringstorff bei der SPD-Wahlparty in Schwerin auch nur ein knappes Stündchen feiern. Gestern morgen flog er zur Beratung nach Bonn ab.

Wie geht es nun weiter in Mecklenburg-Vorpommern? „Wir werden sowohl mit der CDU als auch mit der PDS Gespräche führen“, mehr war dem SPD-Geschäftsführer Nikolaus Voss gestern nicht zu entlocken. Die Diplomatie gebiete es, daß zunächst mit der zweitstärksten Partei, der CDU, gesprochen wird, und zwar am Donnerstag. Am Freitag ist die PDS dran.

Die versprüht unterdessen eine Lebensfreude, wie man sie Ringstorff auch wünschen möchte. Jauchzend, hüpfend, kreischend präsentierte sich Angelika Gramkow, die PDS-Finanzexpertin aus Schwerin, nach den ersten Hochrechnungen. Guter Dinge ist auch der pragmatische PDS-Landeschef Helmut Holter, sieht doch seinen Wünschen gemäß vieles nach einer rot-roten Koalition in Schwerin aus: 67 Prozent der Bevölkerung im Land halten die PDS für „demokratisch“, 65 Prozent glauben, daß sie am besten die Interessen Ostdeutschlands vertritt. Verpflichtet das nicht geradezu zur Regierungsbeteiligung? Holter ist „optimistisch“.

Die SPD allerdings legt großen Wert auf „stabile Verhältnisse“, damit das Land „regierbar“ bleibe. Sprich: Eine Tolerierung durch die PDS ist auch nicht das Gelbe vom Ei. Bleibt die Koalition mit der PDS. „Darüber muß der Parteitag entscheiden“, sagte PDS-Fraktionschefin Caterina Muth gestern vorsichtig. Muth selbst würde „der Transparenz wegen“ zwar eine Tolerierung bevorzugen. Doch gegen die Aussage von PDS-Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch, der sich bereits ganz klar gegen die Tolerierung und für die Koalition auf Landesebene ausgesprochen hat, will sie „im Zweifel“ auch nicht angehen. Heike Haarhoff, Schwerin

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