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Herbstliche Weinernte im südlichen Frankreich

■ Mit „Conte d'automne“ vervollständigt Eric Rohmer seinen „Jahreszeiten“-Zyklus. Dabei beobachtet er seine Protagonisten mit intimer Kennerschaft und doch aus sicherer Distanz

Die Frau des Hauptdarstellers will in einen Rohmer-Film gehen, worauf er entgegnet: „Nein, da komm' ich nicht mit. Ich will nicht zwei Stunden lang den Farben beim Eintrocknen zusehen müssen.“ Diese bösartigen, aber dennoch liebevoll treffenden Worte zum Thema Eric Rohmer und dem sogenannten intellektuellen Kino der Franzosen legte 1974 ein seriöser Vertreter des amerikanischen Action-Kinos, Arthur Penn, in „Night Moves“ einem rauhbeinigen Polizisten (Gene Hackman) in den Mund. Und mit dem Papagei aus Raymond Queneaus „Zazie dans le Métro“ möchte so mancher Rohmer-Film-Besucher zu dessen Figuren sagen wollen: „Du quasselst, du quasselst, du quasselst, das ist alles, was du kannst.“ Rohmer- Filme lassen im Grunde nur jene zwei antagonistischen Haltungen zu, mit denen für gewöhnlich den „Schwierigen“ wie Godard, Tarkowski, Resnais oder Rivette begegnet wird: anerkennende Huldigung oder prinzipielle Ablehnung.

Doch selbst der ergebenste Anhänger dieser Filme kann seine Gegner verstehen: Ja, diese Menschen zerquatschen ihr Innenleben auf der Leinwand so lange, bis man sie in die Hölle wünscht. Ja, es stimmt: Seit nunmehr dreißig Jahren passiert in diesen Filmen absolut nichts, und das, was passiert, ist von solcher Belanglosigkeit und so belanglos gefilmt, daß man sich fragt, warum die Kamera überhaupt zuschaut. Doch dann kommt das große Aber.

Eric Rohmer ist der Literat der Nouvelle Vague. Sein „Caméra Stylo“, seine Handschrift verweigern sich so konsequent einem Stil, daß man nach den ersten paar Einstellungen unwiderleglich weiß: Das ist ein Rohmer-Film. Und er ist Moralist im französischsten Sinn des Wortes: Er betrachet seine Menschen und deren Schwächen gleichzeitig mit intimer Kennerschaft und aus sicherer Distanz. Großaufnahmen werden kaum zugelassen. Kamerabewegungen wären eine ungebührliche Einmischung des Autors. So ist Gelassenheit der Grundmodus aller seiner Filme. Flauberts Erzählhaltung der „Impassibilité“, der Gleichgültigkeit gegenüber dem Geschilderten, erhält bei Rohmer eine heitere Nuancierung. Im Grunde verhält er sich zu seinen Figuren wie die Protagonistin in einem seiner frühesten Filme, „La Collectionneuse“, „Die Sammlerin“ von 1966. Wie sie scheint er Menschen zu sammeln, eine Zeitlang interessiert von allen Seiten zu betrachten, um sie dann wortlos wieder beiseite zu legen. Darum haben Rohmer-Filme keinen Anfang. Sie setzen mittendrin ein. Und sie haben nicht eigentlich ein Ende. Sie hören einfach auf.

Nun also, nach der „Frühlingserzählung“ (1989), dem „Wintermärchen“ (1992) und der „Sommererzählung“ (1996) die Herbst- Variante der quatri stagioni. Was läge da näher als die Weinernte? Die Locations: Bourg-Saint-Andéol und Montélimar, zwei verschlafene, pittoreske Kaffs in Südfrankreich. In den umgebenden Weingärten brütende Spätsommerhitze. Die bukolische Szenerie wird nur von einem Atommeiler in naher Ferne gestört. Ansonsten geht das Verwirrspiel aus ungefährlichen Liebschaften seinen vertrauten Rohmerschen Gang – nur der Jahrgang ist diesmal etwas reifer als in den anderen Jahreszeiten, wenn auch keineswegs gereifter. Die alternative Winzerin Magali, 45, Witwe, will einen Mann. Ihre beste Freundin Isabelle, circa selbes Baujahr, Buchhändlerin, verheiratet, sucht ihr unaufgefordert einen per Annonce. Dummerweise verliebt der sich in sie. Am Hochzeitstag ihrer Tochter finden die beiden Richtigen per Zufall doch noch zueinander. Aber das alles ist, wie immer, nur ein Handlungsskelett, das dem Wesentlichen nicht nahekommt, und das liegt zwischen den Bildern, unterhalb der Dialoge. In exakt sieben lakonischen, unbewegten Einstellungen zwischen den Inserts werden Schauplatz und Zeit festgelegt, so als würde das Nötigste erst mal abgehakt, um sogleich in medias res zu kommen. Rohmers Affinität zu Kleist (dessen „Marquise von O.“ durch ihn ja eine der literarischsten Literaturverfilmungen erfuhr) wird in solchen erzählerischen Ellipsen augenfällig. Um psychische Verstrickungen zu schildern, braucht nur das Allernötigste ins Bild zu kommen. Und wie bei Kleist steht die Konzentriertheit der erzählerischen Form in einem subtil ironischen Gegensatz zu der emotinalen Konfusion der Figuren. So sagt Isabelle, wenn sie mit ihrer Freundin durch deren Weinhänge schlendert, mit Recht: „Ich mag es nicht, mich auf dem Land konzentrieren zu müssen.“ Das wird so ganz beiläufig dahingesagt, wie alles andere auch, ohne dramentechnische oder filmische Betonungen. Wer es nicht weiß, würde niemals vermuten, daß Rohmer einer der penibelsten Text-Regisseure ist. Was wie die reine Improvisation daherkommt, steht Wort für Wort in seinen Drehbüchern.

Wirft man einen Blick auf sein bisheriges Filmschaffen, so gewinnt man den befremdlichen Eindruck, daß mit zunehmender Verwickeltheit der geschilderten Liaisons die cineastische Form immer mehr an Bedeutung verliert. Die Anschlüsse wirken bisweilen so schlampig, daß man sich an home movies gemahnt fühlt. Das Bandrauschen beim O-Ton wird einfach belassen. Hat das nun mit künstlerischer Altersweisheit zu tun, die sich ums Formale keinen Dreck mehr schert, oder ist das der Zenit einer cineastischen Intention, die den Kinoapparat so weit perfektionieren möchte, daß einen das heimelige Gefühl befällt, das Leben wiederhole das Kino? Dieser Herbst jedenfalls läßt sich gut bei einer „reboule“ – das wird in Frankreich zur Weinernte serviert – mit Rohmer verbringen. Richard Stradner

„Conte d'automne“, Buch und Regie: Eric Rohmer. Mit Marie Rivière, Béatrice Romand, Alain Libolt, Didier Sandre, F 1998, 110 Min.

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