: Ficken mit viel Kalkül
■ Die billige Provo-Nummer: Die Lebenslügen- und Lifestyle-Chronistin Sibylle Berg liest ihre abgeschmackten Großstadtskizzen „Sex II“ am Sonnabend Mojo Club
An Sibylle Berg kam man in letzter Zeit kaum vorbei. Ob im Zeit Magazin in der Reihe „Junges Deutschland“ oder in der Titanic bei „Dummes Deutschland“ – stets galt die in Zürich lebende Autorin als repräsentativ. So etwas wie eine „neue, unverwechselbare und wütende Stimme zur Zeit“, glaubt man den Elogen, spricht aus ihr.
Dabei hat Sibylle Berg bisher nur ein paar Miniaturen abgeliefert, Portraits. Über ein 17jähriges Mädchen, das beim Rendezvous mehrfach vergewaltigt wird. Über die 30jährige Trudi, die sich an Andreas schmiegt, der seit zwei Tagen mausetot ist. Über den 70jährigen Professor, der einen Strichjungen langsam zu Tode quält. Über ein paar Einsame in der stinkenden Stadt, die nur zum Töten taugt. Jetzt schreib' ich aber mal was ganz Gewagtes.
Sibylle Berg ist jemand, der „Ficken“ und „Arschloch“ sagt und das dann ungeheuer provokativ findet. Jemand, der mit Musikverbrechern wie Philip Boa und Ramstein eine Sprechplatte unter dem Titel Sex II aufnimmt und wenigstens einen Proteststurm erwartet. Wie aufsässig! Sex II, das Buch nun, reiht einen Tag und eine Nacht lang Skizzen von, wie Berg sagen würde: Artgenossen aneinander. Mit Gebrüll tritt die in Weimar geborene Autorin – wie es so ihre Art ist – offene Türen ein. Cineasten und Ratenzahlung, Lebensversicherungen und Gedankenlosigkeit, Lifestyle und Lebenslügen – das ganze Zeug findet sie voll scheiße.
In dieser wohlfeilen Wut gegen die Normalos und Spießer in uns hat es sich Sibylle Berg eingerichtet, wie es einfacher und schweizerischer nicht sein könnte. Anders als bei Wiglaf Droste, mit dem sie gelegentlich auf Lesereisen geht, sind ihre Raunzereien immer schön kalkuliert und tun eigentlich niemand wirklich weh. Vor allem aber – und das ist ihr größter Fehler – sind sie so angestrengt ernsthaft, daß es nichts, aber auch gar nichts zu lachen gibt. An Sibylle Berg kommt man eigentlich ganz gut vorbei.
Volker Marquardt
Sibylle Berg: „Sex II“, Reclam Verlag Leipzig, 197 Seiten, 29,80 Mark
Lesung: Sa, 21 Uhr, Mojo Club
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