: Königin der Schmerzen
„Schreib mir einen Hit“: Céline Dion ist die kommerziell erfolgreichste Chanteuse seit Barbra Streisand, aber das Geheimnisvolle geht ihr völlig ab. Eine Diva ohne Glanz – ihr Profil ist so flach, das sich keiner mit ihr identifizieren möchte. Fast keiner. Ein Bekenntnis ■ von Jan Feddersen
Es ist nicht leicht, sich zu ihr zu bekennen. Öffentlich sowieso nicht. Sie singt und sie singt und sie singt. Und hat sich mittlerweile zur wohlhabendsten Popsängerin in der Nachfolge Barbra Streisands emporgesungen. Aber zuzugeben, daß man auf diesen Tag hinfiebert, an dem die neue CD von Céline Dion käuflich zu erwerben ist? Eben.
Zwar beweist sie Lied für Lied: Talent, viel Talent. Schüchtern- verhaltenes Wispern meist zu Beginn, dann eine Steigerung über gut zweieinhalb Oktaven zum Refrain, abermaliges Flüstern und Schreien, um zum Finale alles zu geben, was ihr ja tatsächlich souliges Organ so hergibt. Allein: Es ist doch Pop à la C&A, wenn auch aus besserem Stimmaterial.
Es ist ja richtig, was an geschmacklichen und geschmäcklerischen Einwänden gegen ihre Lieder vorgebracht wird. Daß sie eigentlich immer gleich klingen, ob sie nun „The Power of Love“ heißen oder so gestrickt sind wie der Schlager des Jahres, „My Heart will go on“, die Titelmelodie zum „Titanic“-Film. Zudem ist Céline Dion von so gar keiner Spur Geheimnisvollem umgeben. Schon deshalb ist sie bisher nicht in den Rang von Sängerinnen aufgerückt, die nur noch mit Nachnamen genannt werden: die Knef, die Midler, die Valente. Aber die Dion? Später mal, vielleicht.
Doch kann sie etwas dafür, daß sie keine Drogen nimmt und stirbt, wie Janis Joplin? Daß sie nie, nie, nie in einem Taxi aus einem Rotlichtviertel ins Hotel gebracht werden mußte oder angeschickert in einem Hotelfoyer erwischt wurde? Daß ihre Liebesdinge monogam scheinen und nicht so unsortiert sind wie bei der vielmals geschiedenen Streisand? Daß von ihr keine Nervenzusammenbrüche überliefert sind, vor allem keine öffentlich zelebrierten? Daß sie niemals durch den Underground mußte, um von dort die Welt zu erobern, statt dessen gleich Erfolg hatte, zunächst im französischsprachigen Teil Kanadas, später überall, in Australien, Indien, Japan, den USA, Frankreich, Island und auch in Südafrika? Seit sieben Jahren steht sie eigentlich immer mit mindestens einem Song in den Hitparaden notiert. Ihre CDs werden in Größenordnungen verkauft, die schwindeln lassen. Meist reichen schon die Vorbestellungen, um ihren Produkten Platinauszeichnungen zu geben.
Doch wie kommt es, daß ihr nicht diese Inbrunst entgegengebracht wird wie einer kommerziell gesehen immer zweit- bis drittklassigen Joni Mitchell oder einer wenigstens in musealer Hinsicht verehrten Sängerin wie Joan Baez? Liegt es daran, daß ihre Lieder nie privat scheinen? Alles enthalten, schöne Passagen sowieso, nur keine Intimität?
Céline Dion ist die Steffi Graf des Popgeschäfts: Immer gesiegt, nie geliebt. Mainstream eben, doch noch nicht mal ein Objekt, das den Streit lohnte. Céline Dion ist so eindeutig, so schlicht, daß kein Expertenstreit um sie entstehen kann. Bis heute ist nicht entschieden, was sich Dusty Springfield in den sechziger Jahren bei ihrem Lied „You Don't Have To Say You Love Me“ gedacht hat, ungelöst unter Fans auch, ob es sich bei Cilla Blacks Coverversion von „You've Lost That Lovin' Feeling“ um den ersten psychedelischen Schlager handelt.
Bei der Frankokanadierin dagegen ist alles klar: Liebeskummer lohnt sich, Freundschaften sind schön, Familie muß man haben. Nichts schwingt mit, was uns Uneindeutiges hinterläßt, kein Ton kommt spekulativ oder verstörend daher. Selbst ihr Lebenslauf, eine eigentlich klassische Geschichte vom Aschenputtel zur umjubelten Königin, ist frei von Rissen, Abstürzen, Strauchlern. Aufgewachsen als letztes von vierzehn Kindern in einer proletarisch-kleinbürgerlichen Familie in der Nähe Montréals; erste Bühnenschritte Anfang der achtziger Jahre. 1988 wollte sie beim europäischen Schlagerwettbewerb siegen – und tat es. Eine anschließende Tournee durch Frankreich geriet zum Fiasko; die Kritiker mokierten sich über den nöligen Akzent der jungen Frau aus Québec und über eine Künstlerin, die weniger durch schöne Kleider, schöne Lieder und schöne Gedanken bestach als eher durch eine etwas knubbelig geratene Nase.
Ein Aschenputtel also, das in dem Chanson „Dis moi des mots qui sonnent“ (in etwa: „Schreib mir einen Hit“) 1991 so aggressiv wie programmatisch verkündete, ganz nach oben zu wollen. Und es schien doch, daß sie auf ewig vom Hofe ausgeschlossen bleiben würde. Dann kamen die Herren von Walt Disney und fragten, ob sie für „The Beauty And The Beast“ mit Peabo Bryson das Titelduett singen könnte. Sie konnte, sie wollte, unbedingt. Da begann der Wandel der Céline Dion. Aus der pummeligen Chanteuse wurde eine Frau, die finanziell unabhängiger nicht sein könnte.
Nichts wurde mehr dem Zufall überlassen. Ob ihre Textilien – modern, aber keine Avantgarde –, der Lebensstil – bloß keine durchzechten Nächte –, ihr Songmaterial – familienkompatibel – oder der Umgang mit der Presse – verbindlich und ermüdend nett bis kumpelhaft: Nichts war falsch, womit auch nichts richtig sein konnte. Eine typische Aufsteigerin, die schon nach wenigen Jahren viel zu verlieren haben würde: keine Ecken und Kanten, keine Skandale. Dafür benefizt sie, was der Markt hergibt (zugunsten der Kinder dieser Welt, was sonst), und fördert eine Stiftung für Mukoviszidosekranke. Ein Profil, so ebenmäßig, daß sich damit niemand identifizieren möchte.
Weiß Céline Dion nicht, daß Aschenputtel brav sein müssen, Königinnen aber auch schlecht sein dürfen? Daß Mädchen, denen der Thron ungerecht verwehrt bleibt, Respekt genießen oder Mitleid, die Liebe aber nur Herrscherinnen gebührt? Vielleicht hat sie auch Angst, daß morgen schon alles vorbei sein würde. Die Aufmerksamkeit, die Einladungen zu Oscar-Verleihungen, zur Talkshow der Oprah Winfrey und zu Bambi-Galas. Es hat schon andere Künstlerinnen gegeben, die in wenigen Jahren sehr viele Platten aufgenommen haben: Donna Summer, Aretha Franklin, Dionne Warwick, sogar Gladys Knight, die ewige Nummer zwei im Motown- Gehege. Aber Céline Dion ist die emsigste. Hat sie eine Tournee um den Globus abgewickelt, läßt sie schon die nächste CD auf die Märkte der Welt werfen.
Jetzt eine mit dem Titel „S'il suffisait d'aimer“, abermals wie vor vier Jahren „D'Eux“ von Jean- Jacques Goldmann produziert. Aber statt die Reaktionen abzuwarten und einen Dreck darauf zu geben, daß sich dieses Album in den USA nicht verkaufen wird, hat sie rasch noch ein Duett mit R. Kelly eingespielt. Und weil das nicht genug ist, auch noch eine Weihnachts-CD pünktlich zur Herbstsaison.
Daß da kaum Zeit und Muße bleibt, wenigstens eine experimentierfreudigere Platte zu fertigen, versteht jeder. Statt dessen läßt sie keine der Unsitten der Branche aus: Nun auch noch ein Duett mit Luciano Pavarotti. Und schließlich dieses fatale Selbstlob („Ich traf den höchsten Ton“) für ihre spitze Interpretation des Evergreens „All By Myself“: Als ob es darauf ankommt, die Töne nur sauber zu treffen, leistungssportlich ansprechend sozusagen. Anders formuliert: Sie macht ihr Publikum schnell satt.
Die Konzerte sind so auch keine Offenbarungen. Ob Berlin, Zürich, Madrid, Tokio oder Wien – stets versichert sie, am liebsten mit ihrem Publikum zu sprechen, „mit euch bin ich am liebsten zusammen“. Was man Sängerinnen wie Annie Lennox sofort glauben möchte, wirkt bei Céline Dion, gewiß unfreiwillig, frei von Glamour, gehetzt, wie auswendig gelernt – und nicht einmal sekundenweise ironisch. Wenn stimmt, daß Soul ein Gekreisch in gefälligen Arrangements ist, ist Céline Dion eine Soulistin – aber eine, deren Seele in Ketten zu liegen scheint.
Ein Teufelinnenkreis: Hat Furcht vor fremden Blicken, verschließt sich und erobert deshalb keine Herzen. Wundert da noch, daß sie noch nie das Titelblatt irgendeiner britischen, amerikanischen, französischen oder deutschen Illustrierten zierte? Man sah ihr zuletzt ihren persönlichen Hader an, daß sie sich nicht wohl fühlt in ihrer Haut: Ihre Figur deutet eine Magersüchtigkeit an, eine nicht einmal elfenhafte Fragilität, burschikos drapierte Ängstlichkeit, die in keinem Verhältnis zum wirklichen Erfolg steht: Diese netzbestrumpfte Lady blieb immer Kumpel.
In wenigen Liedern scheint indes durch, daß ihr Weg vom Aschenputtel zur Throninhaberin wohl erst begonnen hat – am ehesten in ihren französischen Liedern. In „Tu m'aime encore“ („Dafür, daß du mich noch liebst“) vor drei Jahren oder, aktuell, in etlichen Chansons der CD „S'il suffisait d'aimer“ („Wenn lieben schon genug wäre“) ist ihre Stimme nuancierter, feiner, empfindsamer zu hören als auf allem, was sie für den angloamerikanischen Markt eingespielt hat: Es ist, kein Wunder, die Sprache ihrer Kindheit. Würde die 28jährige noch lernen, mit ihrem Lachen nicht immer nur das koboldhafte Geschwisterchen zu geben, hieße sie: La Dion.
Steffi Graf hat sich ihren Weg zur Verehrung wahrscheinlich auch leichter vorgestellt. Sie zeigte sich verwundbar – und wirkte dadurch erst zart und stark. Die kanadische Sängerin wird es ihr nachmachen, man kann es hören. Vielleicht wird es dann leichter, sich zu ihr zu bekennen.
Céline Dion: „S'il suffisait d'aimer“ (Sony Columbia)
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