: Bewußtsein des Ozeans
■ Rupert Sheldrake pflügt morphogenetische Felder
Wie machen es die Vögel eines Vogelschwarms, daß sie (angeblich) in ein- und derselben Mikrosekunde auffliegen, ohne sich durch sichtbare Wink- oder Tut-Zeichen zu verabreden? Warum wedelt der Hund Minuten vor Ankunft des Herrchens wissend mit dem Schwanz, auch wenn das Herrchen zu ungewohnter, unberechenbarer Stunde eintrudelt? Verschiedene Phänomene, eine markige Antwort: Die morphogenetischen Felder! Spätestens seit Capras Wendezeit wird die Zitadelle des Materialismus von innen bombadiert. Naturwissenschaftler entdecken den Sinn für den Übersinn. Auch der Biologe Rupert Sheldrake glaubt an Gesetzmäßigkeiten in der Natur, die nicht auf das Treiben von Materieteilchen angewiesen sind.
Zwar hören sich seine Ideen über die auratische Kraft bestimmter Plätze oder über telepathische Phänomene reichlich esoterisch an, doch während die Esoszene die strenge Wissenschaftlichkeit ihrer Theorien immer nur tumb behauptet, bemüht sich Sheldrake redlich um empirisch abgesicherte Argumentationsketten. Wo Spinnerei war, wird Wissenschaft.
Mit Paul Feyerabend hält er die herrschende Naturwissenschaft für derart dogmatisch und verblendet, daß sie wunderbare Erfahrungsschätze einfach ignoriert. Zum Beispiel die Sache mit dem Hund und seinem wissenden Schwanz. Weitertreiben möchte Sheldrake deshalb die Naturwissenschaft nicht wie die meisten seiner Kollegen durch immer kompliziertere Laborexperimente in irgendwelchen milliardenteuren Teilchenbeschleunigern, sondern durch Rückgriff auf Alltagserfahrungen. Jeder kann – so eine Sheldrakesche Lieblingsthese – durch genaues Hinschauen die Wissenschaft revolutionieren.
Innerhalb von morphogenetischen Feldern nun werden laut Sheldrake Strukturen, Erfahrungen, Wissen von einem Ding aufs andere ohne materielle Zwischenschaltung übertragen: Resonanzphänomene, ähnlich einem Baßlautsprecher, der einen entfernten Kristalllüster zum Klappern bringt. Geistiges zieht in die Dingwelt ein. Ein moderner Animismus. Weil alle komplexen Vorgänge diese Bewußtseinssphäre beinhalten, existiert Bewußtsein auch außerhalb des menschlichen Schädels. Lustig sind hier Sheldrakes Spekulationen. Er hält es für wahrscheinlich, daß der ewig wabernde Ozean ein Bewußtsein hat, dem karstigen Mond dagegen traut er solches nicht zu. Die Galaxis dagegen, die hat's in sich.
Übrigens stützt Sheldrake seine Argumentation auch auf Mythen. Denen billigt er wie C.G. Jung einen wahren Kern zu. Doch auch wenn Intuitionen weltweit verbreitet sind, können sie trügen. Sonst landet man am Ende wieder bei der Hexenverbrennung.
Auch wenn man nicht viel von den Thesen des Mannes hält, ein hochinteressanter, verunsichernder Denker ist er allemal. bk
Sheldrake nimmt am Samstag um 14 Uhr an einer Podiumsdiskussion teil und hält um 17 Uhr einen Vortrag
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