: Ein Stückcken Schöneberg im Plattenbaubezirk
■ Widerstand zwecklos: Alice-Salomon-Fachhochschule gestern in Hellersdorf eröffnet
Am Ende hat aller Protest nichts genützt. Jahrelang hatte sich die Alice-Salomon-Fachhochschule für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (ASFH) gegen den Umzug von Schöneberg nach Hellersdorf zur Wehr gesetzt. Doch gestern, als die Hochschule ihren Neubau im Osten bezog, fügten sich Dozenten und Studenten in ihr Schicksal. Wer von ihr noch einmal eine „Geschichte des Widerstandes“ hören wolle, erklärte Rektorin Christine Labonté-Roset, den müsse sie „enttäuschen“. Oft genug habe sie protestiert, „aber nun sind wir hier und werden die Herausforderung annehmen“, sagte sie bei der Eröffnung.
Auch Sozialsenatorin Beate Hübner (CDU), die auf unnachahmlich teilnahmslose Weise Redemanuskripte abzulesen vermag, mochte „im Sinne der Orientierung an der Realität“ auf den Umzugsstreit nicht weiter eingehen. Sie beschränkte sich auf den guten Rat, die Hochschule möge doch mit den „erschwerten Bedingungen“ mittels moderner Kommunikation „kreativ umgehen“. Vom Umzug verspricht sich die Senatorin eine „Optimierung der personellen und finanziellen Ressourcen“.
Weniger optimal finden viele Studierende die neue Situation. Wegen „organisatorischer Mängel“, so verrät ein Schild am Eingang, wird die Bibliothek frühestens im November umziehen. Pendeln ist also angesagt. „Heute morgen habe ich anderthalb Stunden gebraucht“, sagt Ulrike Schwarz aus dem siebten Semester, die in Schönberg gleich neben dem alten FH-Gebäude wohnt und gestern zum ersten Mal den Neubau erkundete. In weniger als einer Stunde sei es wohl nicht zu schaffen.
Über die „katastrophale Organisation“ echauffiert sich auch die Studentin Elvira Westermann. Dem Umzug selbst kann sie aber auch positive Seiten abgewinnen: Daß die Hochschule jetzt „ein bißchen im sozialen Brennpunkt“ logiere, wie sie glaubt, könne der Praxis ja nicht schaden, und von ihrer Wohnung in Weißensee sei es kaum weiter als nach Schöneberg. Während sich bisher manch Erstsemester auch wegen des Schöneberger Flairs eingeschrieben habe, glaubt sie, würden künftig nur noch ernsthaft Interessierte den Weg an die ASFH finden.
„Etwas Trauer sei uns gestattet“, blickte Labonté-Roset gestern doch noch einmal wehmütig zurück auf die „soziale Einbindung in den Kiez“, in dem Alice Salomon 1908 die „Soziale Frauenschule“ gegründet hatte. Daß die Hochschule ihr traditionsreiches Hauptgebäude verlassen muß, war seit langem klar. Das Haus platzte aus allen Nähten, immer mehr Bereiche mußten ausgelagert werden. Ein Umzug nach Spandau war daher schon beschlossene Sache, als der damalige Bausenator Wolfgang Nagel 1992 eine Institution suchte, die in das Stadtteilzentrum „Helle Mitte“ einziehen könnte. Daß der schon zuvor umstrittene Rektor Reinhart Wolff auch noch dem Umzug zustimmte, kostete ihn Anfang 1994 das Amt. „Sozialarbeit gehört ins Zentrum der Stadt“: Mit diesem Slogan camouflierte seine Nachfolgerin Labonté-Roset die Ostphobie der meisten Hochschulangehörigen – als ob Hellersdorf von der Innenstadt weiter entfernt wäre als Spandau.
Doch jetzt ist positives Denken angesagt. „Bringen Sie ein wenig Schöneberg nach Hellersdorf“, wünschte sich PDS-Bezirksbürgermeister Uwe Klett gestern. Labonté-Roset freute sich über den „hellen, lichten Bau“, den Architekt Bernhard Winking durch Rückgriffe in die Architekturgeschichte schmackhaft zu machen versuchte. Das Gebäude stehe da wie ein „Palast“, mit einem „Piano nobile“ zum Platz hin, kurzum: „Eine Akademie im sokratischen Sinne.“ Ralph Bollmann
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