Lieber Mars als Maria

■ Eheanbahnungsgespräche, Hämatome und eine italo-australische Welt aus den Fugen: Monica Pellizzaris erster Spielfilm "Fistful of Flies"

Beim Familienausflug der Lupis sitzt Vater Joe am Steuer des Wagens. Neben ihm auf dem Beifahrersitz nimmt sein etwa 10jähriger Sohn Platz. Mutter Grace muß mit der Rückbank vorliebnehmen. Was man von Anfang an ahnt, die Sitzordnung bestätigt es: Im italo- australischen Provinzmuff, wie ihn Monica Pellizzari in ihrem ersten Spielfilm „Fistful of Flies“ porträtiert, haben Frauen wenig zu melden. Und sie mühen sich nach Kräften, damit sich daran nichts ändert. Wie sagt es doch die Matrone im Eheanbahnungsgespräch: Die jungen Dinger könnten ruhig etwas lernen, aber bitte nicht zu viel. Das verschrecke die Männer, und dann finde sich keiner mehr zum Heiraten.

Maria, die 16jährige Tochter der Lupis, mag sich damit nicht abfinden. Zum Familienausflug fährt sie erst gar nicht mit, weil sie lieber zu Hause masturbiert, und das ausgerechnet am Tag der Unbefleckten Empfängnis. Später möchte sie einmal Jura studieren, die Mutter wirft ihr vor, ein „tomboy“, also ein zu wildes, jungenhaftes Mädchen, zu sein. Außerdem sei sie zu nichts nütze, so die ungefähre Übersetzung des Titels „Fistful of Flies“, was auf der 16jährigen lastet wie ein Fluch. Sie selbst nennt sich lieber Mars als Maria, treibt sich gerne bei der Großmutter herum, die aus dem Familienverband ausgestoßen wurde. Natürlich bleibt die jugendliche Auflehnung nicht ungesühnt; Vater Joe neigt zum Jähzorn, und einen Gürtel besitzt er auch.

So sind denn Rot, Blau und Violett die beherrschenden Farben in „Fistful of Flies“. Blau leuchten das Familienauto, die Augen und die Kleider der Mutter. Rot deren Lippen und das Einfamiliendomizil auf dem flachen Land, violett die Wände im Flur und die Hämatome, die sich auf Mars' Körper und später auch im Gesicht der Mutter versammeln. Wen wollte es wundern, daß das Jugendzimmer eine aufblasbare Version von Edvard Munchs „Der Schrei“ beherbergt?

Keine Frage: „Fistful of Flies“ erzählt ein feministisches Märchen. Pellizzari sucht das Plakative, und dementsprechend suggestiv geraten ihr die Bilder. Oft kommt das Weitwinkelobjektiv zum Einsatz, dehnen sich Landschaft und Himmel so sehr aus, daß sie die Figuren schier unter sich begraben. Extreme Frosch- und Vogelperspektiven lassen keinen Zweifel: Das Leben in der Provinz mag zwar geordnet ausschauen, doch in Wirklichkeit ist die Welt hier aus den Fugen. Und wenn Fliegen in Nahaufnahme am Heizstab verbrutzeln, dann scheint die Hölle nicht mehr weit. Für die Pubertierende, die sich ins Korsett der Frauenrolle nicht fügen will, ist sie ohnehin gegenwärtig – im Unverständnis der Familie, in der Gewalttätigkeit des Vaters, in der Komplizenschaft der Mutter. Ratlosigkeit und verzweifeltes Dulden sind lange Zeit die einzige Antwort, die Mars einfällt, bis endlich die Revolte losbricht. Erst mit der Kastration des Patriarchen – ersatzweise an einem Gartenzwerg vollzogen – entsteht eine neue Solidarität unter den Frauen. Und weil Märchen gut enden, kann sich selbst Mars' Mutter dem Zauber der sisterhood nicht länger verschließen. Cristina Nord

„Fistful of Flies“, Buch und Regie: Monica Pellizzari, mit: Tasma Walton, Dina Panozzo, John Lucantonio u. a., Austr. 96, 85 Min.