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Wider das Schwarze Loch

Die etwas andere „Beschäftigungstherapie“: Seit 15 Jahren gibt es die „Werkstatt schreibender Arbeitsloser“  ■ Von Mechthild Klein

„Rückblickend“ hält Gisela Hahnelt die Schreibwerkstatt für „das wichtigste, was mir in meinem Leben begegnet ist“. Die ehemalige Chefsekretärin stand nach 20 Berufsjahren plötzlich auf der Straße. Zuerst, erinnert sie sich, habe sie nur über ihre Arbeitslosigkeit geschrieben – „reine Aufarbeitung“ –, aber da gab es eben immer auch die Gespräche in der Gruppe. „Dadurch bin ich selbstbewußter geworden. Früher habe ich für andere geschrieben. Dann schrieb ich für mich selbst und mußte die Texte auch noch verteidigen.“

So mancher Wälzer ist schon in der „Werkstatt schreibender Arbeitsloser“ entstanden. „Ein Bestseller-Autor“, sagt Peter Schütt, sei zwar noch keiner aus der Runde geworden. Aber, ist der Begründer der Schreibwerkstatt überzeugt, „das Schreiben und das ein oder andere Buch haben ihren Verfassern den Weg in die Berufswelt wieder geöffnet“.

Oder zum Wechsel animiert: 20 Jahre stand Alfons Czeskleba bei Mercedes am Band; als das Harburger Zweigwerk zunehmend rationalisierte, war auch sein Arbeitsplatz bedroht. Freizeitliterat Czeskleba, der seine Gedichte regelmäßig in der Werkstatt vortrug, ließ sich abfinden und eröffnete mit dem Geld in Harburg die Kulturkneipe „Die Tröte“. Jetzt kommt er zwar nur mit der Hälfte dessen nach Hause, was er früher samt Schichtzulagen verdiente. Aber „zum Job am Band will ich auf keinen Fall mehr zurück“.

Die Idee, das „Schwarze Loch Arbeitslosigkeit“ durch Schreiben zu stopfen, war dem Schriftsteller Schütt Ende der 80er Jahre gekommen, als die Auflösung der Werft HDW zu Massenentlassungen führte. Er wandte sich an die Kontakt- und Informationsstelle Hamburger Selbsthilfegruppen (KISS), die nahm sein Angebot gerne an, und so treffen sich arbeitslose HobbyschriftstellerInnen seit nunmehr 15 Jahren zweimal monatlich in Schütts Wohnzimmer. Zum Diskutieren und Kritisieren und mit dem Ziel, die Isolierung der Arbeitslosigkeit durch das Schreiben zu überwinden. Denn auch „wenn sich das, was produziert wird, nicht in barer Münze auszahlt“, sagt Schütt, „ist es doch allemal sinnvoller, als in den eigenen vier Wänden Trübsal zu blasen“.

Da kann Harald Kipp nur kräftig nicken. Der ehemalige Exportleiter einer Pharmafirma suchte nach seiner Entlassung gezielt etwas Kreatives. „Ich wollte unter Leute, die was machen und sich nicht nur gegenseitig bedauern.“ Die fand er in der Schreibwerkstatt und darüber hinaus auch eine neue Aufgabe. Einmal im Monat produziert er im Offenen Kanal – Thema der Sendung: Literatur für jedermann (Literadio). Und er schreibt Sachbücher: In seinem VerweXlikon (Heyne-Verlag) zum Beispiel listet Kipp Englisch-Vokabeln auf, die von Fremdsprachlern immer wieder verwechselt werden.

Auch Gisela Hahnelt hat ihren ersten Gedichtband veröffentlicht. Der wurde zwar kein Verkaufsschlager, doch Lesungen von Hamburg bis Cuxhaven machten aus der „glatten und angepaßten Sekretärin im Kostüm“ peu à peu eine engagierte Frau „in Jeans und Sweat-shirt“. Sie ist Mitglied im Schriftstellerverband, und auch ihren Traumjob hat sie inzwischen gefunden. Erst leitete sie das Management des Sängers Gunther Gabriel. Jetzt tendiert sie zur Kleinkunst und organisiert Auftritte des Kabarettisten und Sängers Klaus Irmscher.

Die „Schreibwerkstatt für Arbeitslose“ ist KISS angeschlossen. Interessierte können sich bei Peter Schütt melden (Tel.: 040/462098).

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