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Kutips zum Wochenend

Stellen Sie sich vor. Sie sitzen in einem Raum, der einst als Inkarnation des papierarmen, computerbespickten modernen Großstadtbüros gedacht war. Wie immer, wenn Visionen wirklich werden, klafft zwischen Wunsch und Realität ein nicht ganz unbedeutender Abgrund.

Ihr Schreibtisch sieht also in Wirklichkeit aus wie ein Altpapiercontainer von innen. Allmorgendlich verfluchen sie Ihren für die Technik zuständigen Kollegen, weil er immer rechtzeitig das Faxgerät repariert bekommt, das Sie am Abend zuvor in der Hoffnung auf ein faxfreies Leben klammheimlich demoliert haben. Ihre regelmäßigen Anschläge auf die Postbotin zeigen auch nicht die gewünschte Wirkung, wie am Mount Everest aus Briefen und Paketen abzulesen ist, der sich täglich im Postfach neu bildet. Am Ende eines jeden Arbeitstages also verfluchen Sie – ein Rest an altlinker Technikfeindschaft bricht sich völlig zu Recht immer wieder Bahn in Ihnen – das Computerzeitalter und seine verlogenen Versprechungen. Und Sie schwören sich, Ihre Kinder zur Schaffung der besseren Welt von morgen wieder in der umweltschonenden Wir-ritzen-in-die-Steinplatten-Technik zu schulen. Und dann passiert das Unfaßbare. Der Zentralcomputer Ihres Büros bricht zusammen (so am Dienstag geschehen, wie Sie an der lückenhaften Mittwochsausgabe unschwer bemerken konnten).

Nichts geht mehr. Texte schreiben, e-mails versenden, im Internet surfen, Seiten layouten – kurzum alles, was Ihrem täglichen Leben Sinn und Halt verleiht, was Ihr Dasein erhebt über das eines achtlos in die Ecke gelegten Hundehaufens, funktioniert nicht. Unruhig schleichen Sie mit dem verzweifelten Rest der Belegschaft um das Faxgerät und freuen sich, wenn ein eintreffendes Fax Ihren Glauben an die Technik wieder stärkt. Jedes Klingelzeichen an der Tür wird zur Offenbarung, den Lichtschalter sehen sie plötzlich mit ganz anderen Augen. Und wenn das Telefon klingelt, weinen Sie vor Freude und brabbeln stundenlang auf das hörbar überraschten Gegenüber ein. All das nur, weil der Computer streikt.

Sie sehen, für radikal neue Wirklichkeitserfahrungen braucht es die Kunst nicht. Da genügt ein kleiner Stromausfall oder ein wilder Streik einer einzigen Festplatte und schon kommen die Fragen von ganz allein. Woher komme ich? Wohin gehe ich? Und was zum Teufel mache ich hier bloß? Allein – die Antworten, die unser Technikmann ntx darauf in seinen Handbüchern gefunden hat, befriedigen allenfalls die bescheidenen Ansprüche unseres Computersystems. Der Mensch aber, in diesem Fall in seiner Existenzform als RedakteurIn, er verlangt nach mehr. Und wo soll er fündig werden, wenn nicht doch wieder in der Kunst. So stürzen wir uns wie gewohnt ins Bremer Kulturleben, allerdings mit ganz anderen Augen.

Unsere neue, dubiose Technikeuphorie könnte unterstützt werden durch eine Dance-Party im Modernes, Sa, 23h. Vielleicht sollte man aber besser mittels Workshops in Shiatsu, Akupunktur, Singen und Bachblütentherapie kämpfen um eine Emanzipation von der Geisel der Technik (Sa+So: Visionenkongreß im CCB). Währendddessen pfeifen Sie auf diese ganze Problematik und tanzen ab im Lagerhaus bei Funk und Hiphop in diversen Variationen (Sa, 20h, Phase V, Nautilus II u.a.). Oder Sie besuchen die Vernissage im Neustädter Bahnhof, wo Grenzgänger zwischen Realismus und Surrealismus aus Berlin und Osnabrück zu sehen sind (Sa, 20.30h). So, 11.30 gibts persische Musik im Planetarium. Sollten Sie aber in Vegesack wohnen und von uns in den Zustand hartnäckiger Technikphobie versetzt worden sein, empfehlen wir eine Wiederaufführung der von uns heißest gelobten Madrigaloper „L-Amfiparnaso“ im Bürgerhaus Vegesack. Kein Stromausfall in der Bahn, kein Versagen der Autobatterie, und in der Inszenierung keine katastrophengefährdete Bühnentechnik, nur die starken Masken der Blaumeier (So, 20h). taz

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