: Viele andere Lebewesen im Fischmaul
■ Animalisch, faszinierend und fremd: Das französische Trio Double Nelson fertigt seit 13 Jahren in der Peripherie improvisierten Hardcore mit seltsam murmelnden Gesang
Nach England jetzt auch in Frankreich: Staat und Pop, Musikbusiness und Marktwirtschaft. Das Kulturministerium sponsort die Pariser Loveparade, um der aufstrebenden Danceszene europäische Anerkennung und internationale Verkaufszahlen zu bescheren. Eine Handvoll Label und Künstler im Umfeld von Laurent Garnier und Daft Punk, die dieser Unterstützung kaum noch bedurften, danken. Zwei Männer und eine Frau fern der Hauptstadt dürften sich dagegen in ihrer Position als doppelt Marginalisierte nochmals bestätigt fühlen.
Das Trio mit dem sportlichen Namen Double Nelson kommt aus der unweit der deutschen Grenze gelegenen mittelgroßen Stadt Nancy und läßt sich erfrischend unzweideutig der alten Definition von Underground zuordnen. Dies impliziert 13 Jahre Krach, 13 Jahre in muffigen Übungskellern, besetzten Häusern ohne eigene PA, kaputte Bandbusse, ungewaschene Haare. Das wahre Leben also, das man nur so lange durchsteht, wenn man etwas zu sagen hat – vor allem in Frankreich, ohne Szene und vom englischen oder amerikanischen Umfeld belächelt. Welche Freiheit das auf der anderen Seite bedeuten kann, ist in mittlerweile vier Alben voll improvisierten Hardcore festgeschrieben. Tribal, das unbeholfene Wort für rhythmuszentrierte Extase findet sich darin ebenso wie Avant-Rock, Stimmengemurmel und Noise.
250 Konzerte haben die Mischung in einen organischen Fluß gebracht, in dem plötzliche Gitarren-Eruptionen durch atmosphärisches Rauschen und murmelnden Gesang in eine ganz andere Richtung geleitet werden. Das zeugt von musikalischem Feingefühl, Verwachsenheit mit den Gerätschaften und dem Willen, sich an keiner verbindlichen Form und Sprache festzuhalten – sei es Sonic Youth oder die Young Gods. Am nähesten kommt das Trio den japanischen Hysterikern Boredoms oder den frühen Butthole Surfers, minus Exzess und Geschwindigkeit, plus Frankreich und Freundlichkeit. Der Fisch auf dem Cover, in dessen Mund eine ganze Welt aus komischen Pflanzen und kleinen Lebewesen haust, beschreibt Double Nelsons Kunst wohl am besten: animalisch, faszinierend und fremd. Holger in–t Veld So, 18. Oktober, 21 Uhr, Molotow
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