: Fälscher am Eßtisch
Ein Hamburger Siebdrucker malt Gauguin, van Gogh und Co. – oder einfach die liebsten Urlaubsfotos seiner Kunden in Öl ■ Von Christine Holch
Der freundliche Mann in Jeans führt Besucher durch seine Wohnung in Hamm wie durch eine Galerie. Ob im Wohn- oder im Schlafzimmer, dicht an dicht hängen die Werke der Großen: Paul Gauguin, Marc Chagall, Vincent van Gogh. Die Wohnung eines reichen Kunstliebhabers?
Wohlhabend ist er nicht, der 52jährige Heinz-Günter Kuhn, Kunstliebhaber sehr wohl. Und so malt der gelernte Siebdrucker seine Lieblinge einfach ab. Nicht im Stehen an der Staffelei, sondern am Eßtisch sitzend. „Da kann ich die Hand abstützen", erklärt Kuhn. „Die Maler waren ja frei in ihrem Strich, ich aber muß mich an ihre Vorgaben halten." So braucht er fürs Kopieren auch viel länger als die Ursprungskünstler für ihre Werke. Van Gogh habe manchmal drei Bilder an einem Tag gemalt, erzählt Kuhn. Er dagegen brauchte 80 Stunden für die „Kirche von Auver" mit ihren sonnig flirrenden Mauern.
Die kurzen dicken Striche van Goghs habe er mittlerweile ganz gut drauf. Trotzdem sei es schwierig, die Pinselführung nachzuahmen. Denn Kuhn hat die meisten Bilder nie im Original gesehen. Seine Vorlagen sind preiswerte Kunstbände, manchmal auch nur Postkarten. Für die Sonnenblumen von Nolde hatte er gar nur eine Schwarz-Weiß-Vorlage. Sie sind denn auch etwas gelb geraten.
Ein frecher Abkupferer? Nein, Kuhn ist ein Bescheidener. Er, der in den Nachkriegswirren in einem Waisenhaus aufgewachsen ist, verehrt die Originalmaler. Er bewundert etwa die Freiheit, mit der sie Farben wählten: mit welcher Extravaganz Gauguin einen tahitianischen Strand einfach rosa malte oder Chagall einen schwarzen Nachthimmel leuchtend blau. So genau Kuhn den Großen auch hinterherpinselt, er kennt seine Grenzen: „Ein Original ist ganz was anderes als was Nachgemachtes. Da fehlt die Persönlichkeit." Auch wenn er manchmal 180 Stunden an einer Fälschung sitzt.
Doch auch Kuhns Hingabe hat Grenzen – so setzt er sich über die Originalformate öfters hinweg und malt im Standardformat 60 mal 80. Schließlich muß ein Bild auf den Eßtisch passen. Und bei Klimts „Kuß" waren ihm finanzielle Grenzen gesetzt – Blattgold war einfach nicht drin im Hobbyetat.
Umso willkommener sind ihm die gelegentlichen Aufträge. Zum Beispiel von Friseurkunden, die seine Bilder im Salon unten im Hochaus gesehen haben. Und auch seine Teilnahme an der Elb Art, der eintägigen Ausstellung im Elbtunnel, hatte Folgen. „Da sind Leute, die lieber eine gemalte Kopie als einen teuren Druck haben wollen." Er sei sehr preisgüngstig, sagt Kuhn. Marcs „Reiter am Strand" würden 1500 Mark kosten.
Am meisten freut er sich, wenn er seine Lieblinge, die Impressionisten und Kubisten, fälschen darf. Alte Malerei mag er nicht so besonders, die ist ihm zu „bodenständig". Er würde aber auch eine Mona Lisa malen, wenn es denn gewünscht würde. Allerdings darf Kuhn nur Fälschungen von Malern verkaufen, die seit mehr als 70 Jahren tot sind, wie Gauguin oder van Gogh. Nolde, Chagall, Dali oder Picasso darf er nur zu seinem Privatvergnügen abkupfern.
Aber es ist ja vor allem Hobby. Der Hamburger hat noch ein zweites Standbein: Er malt Porträts nach Fotos. Vorlage dürfen gern auch die liebsten Urlaubsfotos der KundInnen sein. Im Flur hängt ein Selbstbildnis: Kuhn in einem portugiesischen Straßencafé. Mit verspiegelter Brille – in den Gläsern spiegelt sich die Landschaft. „Sehen sie, sogar die Nähte der Jeansjacke hab' ich gemalt", sagt Kuhn und freut sich sichtlich an der Übereinstimmung von Foto und Gemälde. Auch die Plastikstühle hat er gemalt und die Klimaanlage an der Hauswand. Keins der Details ist ausgedacht.
Heinz-Günter Kuhns „echte Fälschungen" und Porträts nach Fotos sind derzeit ausgestellt im Lokal „Vogelfrey" im Eimsbüttler Hellkamp
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen