: Ehrgeizig
■ Das Britpop-Quartett Blur verhöhnt gekonnt die Mittel-Klasse Englands
Die Zeiten, in denen Blur als englischer Geheimtip kaum das Logo füllten, sind zwar erst drei Jahre her, dafür aber nun endgültig vorbei. Spätestens seit dem letzten Album Parklife und vor allem durch den Sommerohrwurm „Girls And Boys“ ist inzwischen auch hier angekommen, daß Blur der letzte Hype, die „best new band in Britain“ sind. Eine Position, die sie sich allerdings zur Zeit mit Oasis, Suede und anderen langweiligen Britpopgrößen teilen müssen.
Gemäß dem Motto „You've got to have the best tunes or that's it you've blown it“ („It could be you“) ging es denn auch sofort wieder ins Studio. Dabei kam The Great Escape heraus. Musikalisch tut sich hierbei eher Altbekanntes auf. Klingt das nicht, von einzelnen Cardiacs-Reminiszensen abgesehen, wie eine seltsame Mischung aus den Beatles und Madness? Ein Abklatsch der Achtziger als postulierte Hoffnung der Neunziger? Was die Texte betrifft, zeigt sich Songwriter Damon Albarn allerdings seinen Kollegen um einiges überlegen. Aus seiner Beobachterperspektive skizziert er bissig die „Stereotypes“ der Multimedia-Fastfood-Gesellschaft, das Lebensgefühl der Mittel-Klasse in gähnender Langeweile und nervtötender Einförmigkeit (“Ernold Same“), ihren falschen Ehrgeiz und Lotteriewahn.
Auf dem Innencover inszeniert sich das Quartett als seriöse Yuppies bei der Tabellenkalkulation ihrer Plattenverkäufe. Wem selbst angesichts dieses beißenden Zynismus noch Zweifel befallen, wird spätestens bei der Lektüre von Songs wie „Mr. Robinsons' Quango“ („Dirty dealer, expensive car runs the buses und the evening star. He got a hair pieces and he got herpes“) nur allzu klar, daß Albarn nicht dazugehören will. Es sind keine neuen Geschichten, die Albarn erzählt, er findet jedoch eine neue Tonlage dafür. Auch seine Vision des kommenden Jahrhunderts („Universal“) birgt keine neuen Binsenweisheiten (“No one here is alone, satellites in every home“) Bedenken, ob dies nun wirklich „the best days of our lives“ sein sollen, sind dafür nur allzu wahr. Und die „große Flucht“ erweist sich dann auch als große Illusion: „He thought of cars and where, where to drive them and who to drive them with. And there was no one, no one.“
Daß über den Texten noch die wichtigsten Akkorde mitabgedruckt wurden, wird wohl so manchen Gitarrenfreak zum Nachspielen verleiten. Sollte demnächst nebst „Blowing In The Wind“ auch so mancher Blur-Song an nächtlichen Lagerfeuern erklingen? Die ohnehin wehrlosen Bäume hätten nichts zu lachen, wenn sie dann zu „Yuko & Hiro“ ihre Blätter wiegen müßten – im Takt, versteht sich.
Nicole Plojetz
Mo, 23. Oktober, Docks, 20 Uhr
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