: Demokratisches Pilotprojekt
Der 5. Dezember 1997 galt vielen mexikanischen Linken als „magisches Datum“. Damals trat Cuauhtémoc Cárdenas, Kandidat der Partei der Demokratischen Revolution (PRD), sein Amt als erster rechtmäßig gewählter Bürgermeister von Mexiko-Stadt an.
Sieben Jahrzehnte lang war die größte Stadt der Welt von Männern regiert worden, die der Staatspräsident eingesetzt hatte – und die der Staatspartei PRI anzugehören hatten.
Seit Cárdenas Amtsantritt gilt der Mikrokosmos Mexiko-Stadt als lateinamerikanisches Pilotprojekt in Sachen Demokratie. Große Eklats sind dabei bisher ebenso ausgeblieben wie die Schaffung einer „sicheren, produktiven, würdevollen, solidarischen, demokratischen Stadt mit Bildung, Kultur und ohne Luftverpestung“. Eine solche Metropole hatte Cárdenas den geplagten HauptstadtbewohnerInnen versprochen.
Seine Wählerschaft wird nun immer ungeduldiger: Bei einer im Sommer veröffentlichten Umfrage bezeichneten mehr als dreißig Prozent der Befragten die Politik der Cárdenas-Regierung als „schlecht“, doppelt so viele als „mittelmäßig“ und gerade mal acht Prozent als „exzellent“. Ein tiefer Fall für den Hoffnungsträger: Im Juli vorigen Jahres hatte immerhin die Hälfte der Menschen Mexiko-Stadts für Cárdenas gestimmt.
Die bislang spektakulärste – und einhellig begrüßte – Maßnahme der neuen Regierung ergab sich gewissermaßen aus aktuellem Anlaß: Nach einem fünftägigen Dauersmogalarm verkündete diese im Juni erstmals die drastische Verschärfung der Maßnahmen gegen die Luftverschmutzung. Danach wird bei dicker Luft künftig jedes zweite Auto in der Garage bleiben müssen; auch die teilweise noch filterlos arbeitenden Fabriken werden zukünftig schärfere Umweltauflagen erfüllen müssen.
Ansonsten sind es eher kleine, wenn auch symbolisch bedeutsame Schritte, die der neue Bürgermeister hat in die Wege leiten lassen: Sozialprojekte für Straßenkinder und für die etwa eine halbe Million Indigenas in der Stadt, Gesundheitsprogramme für junge Mütter und eine Antisexismuskampagne sowie die Abhaltung eines Schwulenforums, das – zum Entsetzen der katholischen Kirche – Gesetzesiniativen gegen die Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Liebe beratschlagte. Ein städtisches Kulturinstitut wurde zudem eingerichtet; Aufklärungskampagnen gegen Korruption sind in Planung.
Der Wahlsieg von Cárdenas gilt als Pilotprojekt für das ganze Land, als „politisches Trampolin“ für die Präsidentschaftswahlen übernächstes Jahr. Ginge es nach den Oppositionsparteien, soll zur Jahrtausendwende die PRI endgültig aus dem seit siebzig Jahren bewohnten Präsidentenpalast vertrieben werden.
Als einer der aussichtsreichsten Kandidaten für einen Sieg über das PRI-Machtkartell gilt schon heute – der Bürgermeister von Mexiko-Stadt selbst. Anne Huffschmid
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