: Die Wüste als Kathedrale
Die Rückkehr des Desert Rock in weiblicher Gestalt: Hazeldine besetzen eine der letzten männlichen Musikbastionen, aber vermeiden den Gender-Diskurs ■ Von Thomas Winkler
Warum, fragt man sich, ziehen Menschen aus dem klimatisch freundlichen Florida weg oder aus Athens, Georgia, mit seiner kleinen netten Szene, nur um in Albuquerque, New Mexico, zu landen? Einem eher trostlosen Kaff, das mitten in einem großen Haufen Sand und Steine liegt? „Ich glaube, daß die Wüste ein heiliger Ort ist“, sagt Shawn Barton, Sängerin und Gitarristin von Hazeldine, „ich erinnere mich, als ich das erste Mal in der Wüste war, auf eine Art war das wie ein Wiedernachhausekommen zu Gott.“
Barton hat im College Religionswissenschaften studiert. „Dieses Land da draußen“, sagt sie, „strahlt eine gewisse Traurigkeit aus.“ Die Traurigkeit liegt in den Songs von Hazeldine. Sie beginnt beim Schlagzeug von Jeffrey Richards, das meist spartanisch und leicht apathisch die Songs eröffnet, bevor der volle, runde Baß von Anne Tkach einsetzt. Es ist wie der Soundtrack zu einem mit Nichtstun und Abhängen verbrachten Nachmittag. Es ist ein wohliges, gemütliches Gefühl, ein sehr grundsätzliches Gefühl, und die Traurigkeit wird zur Kuscheldecke. Dann kommen die Gitarren von Barton und der anderen Sängerin, Tonya Lamm. Sie sind eher verweht als verzerrt, niemals aus der Ruhe zu bringen, alt und weise und wissend. Wenn Barton und Lamm dann zu singen beginnen, wird die Wüste zur Kathedrale, die Musik zum Gotteslob, und Gott wird ein guter Gott. Die Stimmen ergänzen sich, warten aufeinander wie alte Freundinnen, schweben engelsgleich. Man möchte nicht, daß es wieder aufhört.
Der Musik wird in fast allen Religionen eine spirituelle Funktion zugewiesen. Und die letzte Musik, die die Wüste im Umkehrschluß zum Heiligtum erklärte, zur Grundlage des Musikmachens, war das, was man in den frühen 80ern Desert Rock nannte. Sie hießen Naked Prey, Rain Parade, Green on Red oder Thin White Rope. Oder Giant Sand, die noch heute die Verehrung bereits im Namen tragen.
„Manchmal, wenn wir mit den Gitarren loslegen, dann klingen wir wie Thin White Rope, glaube ich“, sagt Lamm. „Die Leute sagen das“, sagt Barton. Die Einflüsse aber liegen woanders. Barton war noch fast ein Teenie, als ihre damalige Lieblingsband Soul Asylum begann, Country zu spielen. „Da muß wohl was dran sein“, dachte sie sich. Für Lamm ist die Country- Grundlage von Hazeldine ein noch viel weiter reichender Rückgriff: „Wir sind beide in Familien aufgewachsen, in denen die Eltern eine Menge Country gehört haben.“
So gesehen sind Hazeldine eine ziemlich altmodische Band. Einerseits. Andererseits sind sie nicht denkbar ohne die Fortschritte, die Frauen erst in den letzten Jahren im Musikgeschäft gemacht haben. Ein wenig Anteil hatten sie auch selbst daran, indem sie mit Wüstenrock eine der letzten männlichen Bastionen besetzten. Nur: Sprechen darüber, das wollen sie nicht. „Von Männern in der Band kann man sich keine Tampons leihen“, sagt Barton, sonst gäbe es keine Unterschiede. „Ich bin schon mein ganzes Leben lang eine Frau“, sagt Lamm, „deshalb denke ich nicht soviel darüber nach, wie ich mich als Frau so mache.“ Aber natürlich wissen sie, daß es nicht so einfach ist. Daß sie erst Erfolg in Europa haben mußten, damit zu Hause jemand auf sie aufmerksam wurde, daß ihr Debüt-Album „How Bees Fly“ nur als Import in ihrer Heimat zu bekommen war. Nun haben sie dort einen Major-Vertrag und das gesamte Material in nahezu unveränderten Arrangements, aber in einem besseren Studio, noch einmal aufgenommen.
Auf ihrem offiziellen US-Debüt „Digging You Up“ finden sich denn auch vier Songs von „How Bees Fly“, allerdings nicht der heimliche Hit „Tarmac“, dessen Zeile „Fuck me like Batman“ in keinem Artikel über Hazeldine fehlen darf. Diese Zeile ist immer interpretiert worden als Ausdruck eines neuen weiblichen Selbstbewußtseins, aber heute sagt Barton, „hätte ich geahnt, wieviel Beachtung diese Zeile findet, hätte ich sie nie geschrieben. Tatsächlich habe ich nicht großartig darüber nachgedacht, bevor ich es schrieb.“
Sie wollen sich nicht verwickeln lassen in eine Gender-Diskussion, weil man in den USA schnell stigmatisiert und als Musikerin nicht mehr ernst genommen wird. Wäre alles schon so problemlos, wie Hazeldine es behaupten, wären sie keine außergewöhnliche, weil von Frauen dominierte Band, sondern nur eine außergewöhnlich gute Band. Aber noch stellt sich auch Barton ungefragt selbst in einen rein weiblichen Zusammenhang, wenn sie sagt, „mir gefällt die Vorstellung, eine Mischung aus Lucinda Williams und Hole zu sein“. Doch vielleicht werden Barton/ Lamm in einer nicht allzu fernen Zukunft ja nicht als Pionierinnen in die Geschichte eingehen, sondern als Nachfolgerinnen solcher Songschreiber-Pärchen wie Lennon/McCartney, Jagger/Richards oder Strummer/Jones? Dann hätten sie nicht nur wunderschöne Musik gemacht, sondern auch etwas erreicht. Vorläufig reicht das mit der wundervollen Musik aber auch.
Hazeldine: „Digging You Up“ (Polydor)
Tour: 21.10. Münster, 30.10. Enger, 31.10. Berlin, 1.11. Dresden, 14.11. Tuttlingen, 17.11. Stuttgart, 18.11. Heilbronn, 19.11. München, 20.11. Regensburg, 21.11. Bad Homburg, 22.11. Kassel, 24.11. Hannover, 25.11. Hamburg, 26.11. Köln, 27.11. Gelsenkirchen
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