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Fausthiebe fürs Seelenglück

American Pie: Der bissige Boxer Mike Tyson hat mit Ali und Magic prominente Fürsprecher und bekommt die Lizenz für ein mögliches Comeback am 5. Dezember zurück  ■ Aus Las Vegas Thomas Hahn

No Angel born in Hell

Could break that Satan

spell!

Er kauerte immer noch gebückt auf der Anklagebank und sah ganz klein aus vor dem Pult seiner fünf Richter. Winselnd Reue zu zeigen galt es, ausgerechnet für ihn, Mike Tyson, den starken Jungen von 32 Jahren, der früher einmal der unumstrittene Boxweltmeister im Schwergewicht war. Und siehe: Es würde sich auszahlen. Ja, er würde Gnade empfangen von den Mitgliedern des Sportausschusses von Nevada, seine Boxlizenz zurückerhalten, die er verloren hatte, weil er an jenem 28. Juni 1997 im Kampfeseifer dem Kollegen Evander Holyfield mittig in die Ohrmuschel gebissen hatte. Ja, so hatten die Funktionäre es beschlossen, mit vier Stimmen zu einer.

Doch bevor Mike Tyson das Clark County Government Center von Las Vegas verlassen durfte, blickte Doktor Elias Ghanem, der Ausschußvorsitzende, noch einmal sehr streng auf ihn herab und sprach zu ihm: „Mike, das ist deine letzte Chance.“ Mike nahm es hin und ging. Es hat viel Applaus gegeben von den Zuschauern, als die Sitzung so erfolgreich für ihn zu Ende gegangen war. Doch Tyson hob nur erleichtert die Augenbrauen und reckte schüchtern die Fäuste.

Für laute Jauchzer gab es auch keinen Grund. Die Rückerstattung seiner Arbeitserlaubnis war schließlich kein schillernder Sieg, sondern einfach nur bitter nötig gewesen, für seine Finanzen und sein seelisches Gleichgewicht. Und außerdem ist nach dem langwierigen Prozeß kaum mehr etwas übriggeblieben von den Erinnerungen an den gefürchteten Boxer Tyson. Mit seinem Namen verbindet man nur noch einen Choleriker, der seine Reflexe nicht unter Kontrolle hat und vor Funktionären auf die Knie gehen muß, strikt angeleitet von Beratern, um überhaupt noch mal seinen Job tun zu dürfen.

Ausgerechnet in den letzten Monaten hatte Tyson wieder bewiesen, daß man ihn nicht unbeaufsichtigt lassen kann. Im August geriet er in Maryland in einen Unfall und diskutierte danach mit zwei Männern so energisch, daß die ihn wegen Körperverletzung verklagten. Dazu erschien im Playboy ein Interview, in dem er sich als „sehr haßerfüllten Individualisten“ outete.

Im Ausschuß reagierte man mit Befremden. Tysons Anwalt Jim Jimmerson mußte sich deshalb ziemlich strecken für den Erfolg. Er ließ fünf der sechs Psychologen einfliegen, die Tyson zuletzt in Boston untersucht hatten, damit sie noch einmal bezeugen konnten, daß Tyson „mental fit fürs Boxen“ sei und die Rückkehr in den Ring für ihn neben wöchentlicher Psychotherapie sogar heilsam wäre. Dazu besorgte er entlastende Briefe von den Unfall-Klägern. Und diktierte Tyson und dessen Frau Monica Turner-Tyson ihre Rollen beim Verhör. Das Ergebnis war eine überzeugend unbestimmte Tyson-Gattin, die ihren Ehemann betreffs des Zusammenstoßes in Maryland in Schutz nahm. Tyson gab den scherzenden Erzähler, der alles bedauerte, vieles zugab und es manchmal übertrieb mit seiner Reue: „I'm soooooooo sorry!“

Und dann trottete auch noch der am Parkinsonschen Syndrom erkrankte Muhammad Ali einher und ließ seine Frau Lonnie einen Brief verlesen, in dem er appellierte: „Lassen Sie diesen Mann sein Auskommen verdienen!“ Und der HIV-infizierte ehemalige Basketballstar Earvin Magic Johnson gelobte feierlich, demnächst als Kreuzung aus Promoter, Freund, Guru und Anlageberater an Tysons Seite zu treten. „Ich will ihn lehren“, sagte Johnson, „finanziell gute Entscheidungen zu treffen.“ Überzeugender ging es nicht.

Und auch wenn die Vorstellung weniger überzeugend gewesen wäre, Tyson hätte wohl trotzdem wieder boxen dürfen. Daß es bei dem fernsehtauglichen Rollenspiel im Gerichtssaal um höhere Moral ging, war der Eindruck, den das Publikum bekommen sollte. Doch die Ausschußmitglieder werden die Mächtigsten im Staate Nevada bei ihrer Entscheidungssuche kaum vergessen haben: die Casino- und Hotelbesitzer, für die ein Tyson-Kampf ein höchst einträgliches Spektakel ist. Vor der Anhörung stand zu lesen, Tyson werde am 5. Dezember in Las Vegas sein Comeback geben. Als mögliche Kontrahenten werden jetzt gehandelt – in dieser Reihenfolge –: Lou Savarese, Shannon Briggs und Axel Schulz (Germany). „Auf jeden Fall“, so Magic Johnson, werde es „kein Topgegner sein“. Und er warnte: „Ich sage euch gleich, ich werde ihn langsam aufbauen.“ Tyson meinte: „Ich muß zur Psychotherapie, und ich weiß noch nicht, wie sich das mit dem Training vereinbaren läßt.“

Die Öffentlichkeit wird jedenfalls mit ihm sein. Wie immer. Bei der Anhörung waren an die hundert Journalisten akkreditiert. Und der Sportsender ESPN war besonders eifrig: Er übertrug das Märchen um Mike den Boxer und Doktor Ghanem live.

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