■ Querspalte: Alles anders
In neuem Glanz strahlt die Berliner Republik. Es tut sich was. Wer hätte das gedacht? Das ist schön. Dafür war ich eigentlich schon immer gewesen. „Alles wird anders“ titelt der Spiegel, während der Focus zum „Auswandern“ Mut machen will und der Stern bei nackten Frauen bleibt, die sich gern ausziehen.
Auch und entgegen anderslautenden Gerüchten. Eigentlich hatte sich ja schon etwas am Wahlabend getan: Es war nämlich die zweite Wahl gewesen, bei der ich gewonnen, resp. der Partei meiner Wahl geholfen hatte, auch wenn ich es immer ein bißchen peinlich gefunden hatte, die Partei meiner Wahl zu wählen. Genaugenommen war es meine dritte siegreiche Wahl gewesen, allerdings war mein Klassensprecherdasein in den öden 70ern eher erfolglos gewesen, also Schwamm drüber und vergessen. Alles wird anders also.
Lustig bei dem Reden übers Anderswerden ist nicht so sehr, daß das Gegenteil genauso richtig ist, sondern daß gerade in der Spiegel-Ausgabe, die das Anderswerden für ausgemacht hält, der fehlende Aufbruch, die ausstehende „Zeitenwende“ und wie derlei mehr heißt, beklagt wird („Macht Rot-Grün im Grunde genommen so weiter wie die christliberalen Vorgänger?“), während andere in unserer dieser Zeitung sich darüber freuen, daß „wieder Politik in der Luft“ sei, „wo vorher kleinliches Ressentiment, chronisches Eingeschnapptsein und kernseifige Ruckreden die Regeln waren. Doch der Fundamentalismus reckt sein Haupt – und mäkelt.“ Am Beschluß beispielsweise, die bösen Atomkraftwerke möglicherweise in den nächsten zwanzig Jahren abzuschalten, die Expo 2000 zu unterstützen, auf den neuerlichen Anstieg der Drogentoten wie gehabt zu reagieren und so weiter und so fort. Wenn ich Fundamentalist wäre, würde ich pusten statt rauchen, wenn wieder mal Politik in der Luft ist, und mich ans Verfassen kernseifiger Ruckreden machen, deren diese eine mir allerdings irgendwie noch nicht chronisch eingeschnappt genug ist. Detlef Kuhlbrodt
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