Schlaks mit Schmacht

■ Der schwedische Entertainer Jay Jay Johanson über Aerosmith, Traurigkeit und den Schlager-Grand Prix

Völlig ohne Querverweis stand er Ende letzten Jahres vor uns: Jay Jay Johanson, ein knapp zwei Meter großer Schlaks mit durchdringendem Blick, spindeldürren Armen und diesem unglaublichen Stück Musik. „Tell All The Girls That I Am Back In Town“ eroberte Frankreich im Sturm und hinterließ offene Münder zuhauf. Ein Text mit großer Rock'n'Roll-Geste, ein schmachtender Crooning-Gesang, dazu eine nie zuvor gehörte Mischung aus Streichern und Drum'n'Bass, getoppt von einem vollends verwirrenden Video mit einer dramatischen Gefängnisszene.

taz: Willst du soviel Irritation wie möglich bewirken?

Jay Jay Johanson: Es geht um Widersprüche, auf jeden Fall. Alt und neu, heiß und kalt. Aber die einzelnen Teile sind nicht willkürlich. „Tell All The Girls“ habe ich geschrieben, als ich nach einem längeren Auslandsaufenthalt nach Stockholm zurückkam und hoffte, daß die Leute auf mich warten. Was natürlich niemand getan hat. Aus diesem Gefühl erklärt sich die Sache mit dem Gefängnis: Anderen Menschen vom Urlaub erzählen, während man tatsächlich im Gefängnis war. Ich wollte auf keinen Fall etwas Offensichtliches machen. Genauso mit meiner neuen Platte. Die Leute vom Label wollten nicht, daß sie Tattoo heißt. „Das klingt ja nach Aerosmith“, haben sie gesagt. „Prima“, habe ich geantwortet, „besser, als wenn es nach einer Dean-Martin-Platte klingen würde“. Dann würde ich den Titel sofort ändern.

Bitte?

Ich mag Aerosmith. Sie sind zehnmal kreativer als es Dean Martin jemals war, der keinen einzigen Song geschrieben hat. Ich sehe mich eher als Songwriter.

Aber Dean Martin hatte mehr Stil als Steven Tyler.

Ja, er hatte bessere Klamotten. Und eine bessere Frisur, das stimmt. Auch Elvis, Frank Sinatra oder Chet Baker – alles tolle Entertainer und tolle Stimmen, aber keiner hat einen Song geschrieben. Das verstehe ich einfach nicht. Wahrscheinlich konnten sie es nicht. Und deswegen fühle ich mich mehr mit Steven Tyler als mit Dean Martin verbunden.

Wie stehst du zu den morbiden Elementen deiner Musik?

Laut meiner Freundin ist mir mein Tagebuch am ähnlichsten. Und das ist ganz schwarz. Ich bin ein ziemlich depressiver Typ, meistens. Für die Kreativität ist das eine gute Grundlage. Wenn es mir gut geht, arbeite ich nicht, dann treffe ich mich mit Freunden zum Kochen. Was ein bißchen schade ist, denn so bekommen die Leute nur meine dunkle Seite mit und müssen denken, daß ich ein komplett trauriger Mensch bin.

Dabei steckt aber durchaus auch Humor in der Musik.

Ja, stimmt. Vor allem live sind die Leute überrascht, weil wir viel lachen und eine gute Zeit haben. Und außerdem sind wir härter als auf Platte. Mehr Gitarren. Mehr Aerosmith.

Was ganz anderes: Könntest du dir vorstellen, für Schweden beim Grand Prix teilzunehmen?

Ich habe tatsächlich letztes Jahr ein Stück dafür geschrieben, einen Text über einen Typen, der mit den Taschen voller Steine von der Brücke springt. Sie haben es aber nicht genommen.

Interview: Holger in't Veld So, 25. Oktober, 21 Uhr, Prinzenbar