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Webseiten für den Reformer im Gefängnis

■ Die malaysische Regierung setzt aus wirtschaftlichen Gründen auf die Entwicklung der neuen Informationstechniken. Aber die politische Opposition ist schneller: Sie nutzt das Internet zur Gegeninform

„Jetzt herunterladen!“ fordert die Website „Anwar Ibrahim und die Reformbewegung in Malaysia“. Sie verspricht einen besonderen Genuß: Ausschnitte aus dem Buch „Asiatische Renaissance“ des früheren malaysischen Vizepremiers Anwar, der gerade im Gefängnis von Kuala Lumpur schmachtet.

So etwas war dem Regierungschef Mahathir Mohamad wohl nicht in den Sinn gekommen, als er den Malaysiern in den letzten Jahren immer wieder von den wirtschaftlichen Wohltaten der Informationstechnik vorschwärmte: Seinen politischen Gegnern gab er mit dem Internet eine überaus wirkungsvolle Waffe in die Hand: Kaum hatte der Premier seinen Stellvertreter Anwar wegen angeblicher Homosexualität Anfang September aus dem Amt gejagt, begann dieser seine Anhänger um sich zu scharen – nicht nur auf der Straße, sondern auch auf dem Informations-Highway.

Während die eingeschüchterten Zeitungen seitenlang bizarre Berichte über die „moralische Verworfenheit“ des Gefeuerten veröffentlichten, legten flinke Computerfreaks innerhalb kürzester Zeit die erste „Anwar“-Website ins Netz.

Über 200.000 Internet-Anschlüsse gibt es derzeit in Malaysia, Das ist noch nicht viel, entspricht aber immerhin schon der Auflage der größten englischsprachigen Zeitungen des Landes. Hunderttausende MalaysierInnen konnten nun per Mausklick erfahren, wie der Ex-Vize alle Vorwürfe zurückwies und feurig zum Widerstand gegen die „korrupte“ Regierung aufrief.

Als „dunkle Kräfte“ den Zugang zu „www.anwar.com.my“ blockierten, tauchten sofort Dutzende neuer Websites auf – viele im Ausland, wo malaysische Zensoren nichts ausrichten können. So machte sich die Opposition zum Beispiel das Angebot von Firmen wie Tripod und Geocities zunutze, die umsonst Platz für Websites zur Verfügung stellen.

In malaysischer und englischer Sprache, vielfach höchst professionell aufbereitet, bieten außerdem Websites wie „www.anwaribrahim .org“ Nachrichten, die in der Presse nicht zu erfahren sind: Anwars Reden, Briefe an den Premierminister, Hintergrundartikel, Aufrufe zu Protesten, Informationen seiner Verteidiger. Mit einem weiteren Mausklick können die BenutzerInnen auch Berichte der Agenturen Reuters oder AP lesen, in ausländischen Zeitungen schmökern oder sich bei BBC und CNN auf dem laufenden halten.

In den Newsgroups entbrannten unterdessen heftige Debatten zwischen Anhängern und Gegnern von Premier Mahathir. Per E-Mail werden politische Gedichte und Artikel weitergeschickt. Schwule diskutierten in anonymisierten Beiträgen, wie sie auf die Kampagne gegen Anwar reagieren sollen – der Politiker steht ja wegen angeblicher homosexueller Beziehungen, die in Malaysia strafbar sind, vor Gericht.

Seit Regierungspolitiker drohten, sie würden gegen „Verleumdungen“ im Internet vorgehen, sind viele BenutzerInnen allerdings vorsichtiger geworden. Sie haben allen Grund, die Warnung ernst zu nehmen. Erst kürzlich wurden vier junge MalaysierInnen nach dem berüchtigten „Internen Sicherheitsgesetz“ festgenommen, weil sie per E-Mail Gerüchte über angebliche Unruhen in Kuala Lumpur verbreitet haben sollen.

Die Netzgemeinde selbst bietet keinen Schutz: Die malaysische Providerfirma Mimos hatte der Regierung geholfen, die Absender ausfindig zu machen. Dabei hatte eine der Angeklagten „nichts anderes getan, als zehn Freunden eine private E-Mail zu schicken, in der sie von diesen Gerüchten berichtete“, sagt ihr Anwalt Sivarasa Rasiah. Die vier müssen mit abschreckenden Strafen rechnen. Jutta Lietsch

brief@taz.de

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