: "Ehegattensplitting abschaffen"
■ Die Steuerexpertin Carmen Selg kritisiert die rot-grünen Pläne beim Ehegattensplitting als "sehr unüberlegt". Statt der Ehe solle - mit direkten Zuwendungen - die Kindererziehung begünstigt werden
Carmen Selg arbeitet an der Universität Stuttgart-Hohenheim.
taz: Die rot-grüne Regierung will erstmals einige Milliarden Mark beim Ehegattensplitting sparen und diese Summe Richtung Kindergeld umverteilen. Ein Reförmchen oder eine Revolution?
Carmen Selg: Da das Ehegattensplitting eine sehr lange Tradition hat, könnte man schon von einem leicht revolutionären Vorgehen sprechen. Aber der konkrete Schritt ist doch sehr unüberlegt und unsystematisch.
Warum?
Der Splittingvorteil steigt kontinuierlich an: Maximal kann derzeit ein verheirateter Alleinverdiener mit einem Einkommen ab 240.000 Mark pro Jahr 22.800 Mark Steuern aufgrund des Splittings sparen. Die rot-grüne Regierung will zum 1. Januar 2002 den sich durch den Tarifverlauf ergebenden jährlichen Splittingvorteil auf 8.000 Mark begrenzen. Das bedeutet, salopp gesagt: Ab einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 97.000 Mark wird die „Hausfrauenehe“ immer noch mit 8.000 Mark Steuergeschenken belohnt. Die Splittinggrenze ist in der rot- grünen Verhandlungskommission aber noch nicht ganz ausdiskutiert.
Das hört sich dennoch erst mal nach einem Fortschritt an.
Diese Begrenzung auf 97.000 Mark ist willkürlich. Wenn wir anfangen, uns vom Ehegattensplitting zu lösen, sollten wir besser gleich sagen: Wir schaffen das Splitting ganz ab. Denn es basiert auf dem Prinzip: Wer viel hat, dem wird auch viel gegeben.
Eine Ehe könnte nach einem anderen Prinzip steuerlich begünstigt werden: Die Ehegatten sind sich gesetzlich zum Unterhalt verpflichtet. Soweit dieser Unterhalt von einem Partner übernommen wird, sollte eine Art Unterhaltsprämie steuerlich absetzbar sein. Ähnlich wie es bei geschiedenen Paaren üblich ist. Denn wenn ich meinen Ehepartner unterhalte, nehme ich dem Staat die Gefahr, für diese Person Sozialhilfe aufwenden zu müssen. Deshalb haben wir vorgeschlagen, in der Höhe, die dem Existenzminimum entspricht, einen Abzugsbetrag von der Steuer zu gewähren.
Wie stehen Sie zu dem Vorschlag des Familiensplittings, wo nicht nur nach Partnern, sondern auch nach Kinderzahl die Steuersumme gemindert würde?
Dabei würde man am Splitting- System festhalten und weiterhin die Höherverdienenden am stärksten begünstigen.
Der Staat fördert momentan über das Splitting die Ehe mit 40 Milliarden Mark im Jahr. Gleichzeitig ist klar, daß Kinder zu erziehen immer mehr zum Armutsrisiko wird. Warum tut sich die Politik so schwer, das Zusammenleben mit Kindern statt die bloße Ehe zu fördern?
Es gibt meines Erachtens keinen vernünftigen Grund, die Lebensform „Ehe“ steuerlich zu bevorzugen. Wenn das freiwerdende Geld zur Förderung von Familien mit Kindern eingesetzt werden soll, dann möglichst in Form von direkten Transfers wie dem Kindergeld und dem Erziehungsgeld. Das Existenzminimum eines Kindes hat das Bundesverfassungsgericht mit 6.900 Mark angesetzt. Danach müßte das monatliche Kindergeld beim derzeitigen Steuertarif rund 306 Mark betragen, um den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts gerecht zu werden. Wenn eine rot-grüne Regierung das Kindergeld von jetzt 220 auf 260 Mark erhöhen will, ist das nicht ausreichend.
Somit wirkt sich das rot-grüne Vorhaben als ungerecht gegenüber Eltern aus?
Wenn nach dem rot-grünen Modell das Splitting bei 8.000 Mark gekappt wird, heißt das, eine vierköpfige Familie muß den gleichen Splittingvorteil abgeben wie ein kinderloses Ehepaar. Zum Ausgleich würde die vierköpfige Familie ab dem 1. Januar 2002 nur zehn Mark Kindergeld pro Kind mehr im Monat bekommen. Das kann unter dem Strich ein großer Verlust für die Familien mit Kindern sein.
Mit den von Ihnen vorgeschlagenen 306 Mark Kindergeld ist der Unterhalt eines Kindes vielleicht gedeckt, aber nicht die elterlichen Ausgaben für Tagesmütter, Au- pairs, Kindergarten- und Hortgebühren.
Wir schlagen vor, nicht länger via Splitting die Hausfrauenehe zu fördern, sondern umgekehrt Anreize zu schaffen für die Erwerbstätigkeit der kindererziehenden Frauen, indem Kinderbetreuungskosten steuerlich abzugsfähig werden. Das käme auch Alleinerziehenden sehr zugute.
Ein Abschaffen des Splittings träfe aber empfindlich diejenigen Paare, bei denen die Frauen aufgrund der Kindererziehung ihre Arbeitsplätze aufgegeben haben.
Diese Paare würden verlieren und hätten Einkommenseinbußen hinzunehmen, auch wenn sie Abzugsbeträge für den Partnerunterhalt geltend machen könnten. Für diese Härtefälle könnte über eine Übergangslösung nachgedacht werden. Interview: Barbara Debus
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