: „Schlips reicht nicht“
■ IG-Metall-Nordchef Frank Teichmüller fordert eine Gewerkschaftsreform
„Reichen Notebook und Schlips?“ – „Wir brauchen einen neuen DGB!“ Mit dieser provokativen Losung schockt Hamburgs IG-Metall-Bezirksleiter Frank Teichmüller derzeit die Gewerkschaftsfürsten. Teichmüller fordert eine Reform der Organisationsstruktur und der tarifpolitischen Arbeit sowie die Schaffung eines „Gerechtigkeitsnetzwerks“.
Dem öffentlichen Vorstoß voraus geht eine seit Monaten heftig geführte interne Debatte darüber, wie die Gewerkschaften sich für das dritte Jahrtausend wappnen könnten. „Die Reformen der Vergangenheit haben den DGB auf allen Ebenen geschwächt“, kritisiert Teichmüller, „'Groß'-Fusionen der Gewerkschaften und die Finanznot schwächen den Bund weiter.“ Die Eigenbrötlerei der Gewerkschaften würden unnötig Geld verschlingen. „Zusammenarbeit und das Ausnutzen von Synergien, die Reduzierung von Verwaltung zugunsten politischer Tätigkeit bei gleichzeitigem effizienten Nutzen und Dienstleistungszentren“ lauten die Forderungen des mächtigen Gewerkschafters von der Küste. Statt Betriebsräte und Funtionäre mit möglichst viel Informationen „topfit“ zu halten, würden sie mit einem großen „Wust an Papier“ vollgemüllt. Moderne Kommunikationstechnologien, meint Teichmüller, sollten genutzt werden, um „die notwendigen Informationen auf Anforderung zu erhalten.“
Auch die Tarifpolitik stellt Teichmüller in Frage. Der traditionelle Flächentarifvertrag könnte oft betriebliche Probleme nicht regeln. „Wo die Friedenspflicht des Tarifvertrags nicht bindet, weil der Sachverhalt nicht geregelt ist, wird die Durchsetzung von Ergänzungstarifverträgen sogar als normaler tarifpolitischer Schritt möglich.“
Wichtig sei zudem die Schaffung eines neuen „zweiten Standbeins“ gewerkschaftlicher Aktivitäten. Schon jetzt würde die IG Metall 51 Prozent ihrer Mitglieder über Betriebsstrukturen nicht mehr erfassen. Daher bedarf es laut Teichmüller „einer Regionalstruktur, die nicht nur zufällig funktioniert.“ Es wäre „eine neue grundsätzliche Aufgabe des DGB“, flächendeckende Arbeitslosenstrukturen in der gesamten Republik und für alle Gewerkschaften zu schaffen.
Teichmüller plädiert für den „Aufbau regionaler Strukturen“ in der Frauen-, Betriebsrats-, Senioren und Arbeitslosenarbeit, „die sinnvollerweise in Kooperation aller Gewerkschaften vor Ort durchgeführt“ wird. Die Gewerkschaftshäuser sollten zu „Gerechtigkeitszentren“ mutieren. Teichmüller: „Warum sollen im Hamburger Gewerkschaftshaus nicht Mieter helfen Mietern, eine Suchtberatung, ein Seniorenclub, die Verbraucherzentrale und eine Schuldnerbratung untergebracht sein?“
Der DGB-Landesbezirksvorsitzende Peter Deutschland reagiert zurückhaltend auf den Teichmüller-Vorstoß: „Es enthält interessante Denkansätze.“ Kai von Appen
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