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"Bonner Deeskalationsprinzip" brutal beendet / Integration - Werbekampagne der Politiker? / Koalitionsvertrag ohne grüne Handschrift

betr.: „Polizei kesselt Demonstranten nach Krawallen ein“,

taz vom 26. 10. 98

Wärt Ihr selber hinterm Schreibtisch hervorgekrochen und würdet nicht einfach unbesehen den O-Ton der Polizei übernehmen, wüßtet Ihr, was für einen bodenlosen Mist Ihr hier geschrieben habt. Der Polizeieinsatz zur Räumung der Kreuzung Augustusring/Roemerstraße war in keiner Hinsicht begründet: Weder, daß er überhaupt stattfand, da die Faschisten gar nicht dort vorbeikamen, sondern entfernt am Rhein entlang zu ihrem Kundgebungsplatz geleitet wurden, und es dabei völlig unerheblich war, ob wir auf dieser Kreuzung oder 50 Meter daneben standen... Noch war er durch „Krawalle“, wie Ihr das Polizeideutsch übernehmt, in irgendeiner Weise „gerechtfertigt“. Während des massiven Einsatzes mit Schlagstöcken und CS-Gas von seiten der Polizei (nicht von den BlockiererInnen!!) flogen ein paar Steine und Joghurtbecher. Verletzte Polizisten waren weit und breit keine zu sehen, wohl aber durch Knüppeleinsatz und Reizgas verletzte DemonstrantInnen. Daß hier das lange Zeit propagierte „Bonner Deeskalationsprinzip“ brutal beendet wurde, davon kein Ton bei Euch. Daß wir fünf (nicht drei!) Stunden im Regen auf engstem Raum zusammengepfercht standen, ohne auf die Toilette zu dürfen, davon auch keine Silbe. Daß allein die Nachbarschaft sich rührend um Essen und Trinken zu kümmern versuchte, davon auch nichts. Darüber, daß diejenigen, die auf das Polizei„angebot“ eingingen, einzeln zu gehen und ihre Personalien aufnehmen zu lassen, gleich in Pastikhandschellen zum Präsidium verfrachtet wurden und jetzt Strafverfahren am Hals haben, ebenfalls keine Silbe. Kein Wort auch darüber, daß wir ohne die Präsenz und den Einsatz grüner Abgeordneter und Minister (nochmals danke!) mit Sicherheit gewaltsam geräumt worden wären, und das trotz einer rot-grünen Stadt-, Landes- und Bundesregierung... Milly Witkop-Rocker

Scheinbar scheinen auch Sie der herrschenden Politik und Ideologie auf den Leim zu gehen. Es bleibt festzuhalten, daß bei unserer Demonstration gegen die NPD die Gewalt nicht von uns ausging. Bei einer Blockade eines Platzes drängte uns die Polizei unter Zuhilfename von Schlagstöcken und Tränengas ab. Erst danach flogen vereinzelt Flaschen und Steine. Die Situation war ganz klar durch die Polizei geschaffen. [...] Tim Maywood, Köln

Integration – Werbekampagne der Politiker?

betr.: „Multikulti – Ein Erziehungsstil“, taz vom 14. 10. 98, „Senat läßt Kitas im Stich“, taz vom 19. 10. 98

Verschiedene Einrichtungen freier Träger, unter anderem die „Putte e.V.“ im Wedding, arbeiten seit vielen Jahren mit großem Erfolg mit einem zweisprachigen Erziehungskonzept mit binationalem Team (türkisch/deutsch). Unserer Überzeugung nach ist es wichtig, daß die Kinder als erstes ihre Muttersprache lernen, in deren Umgang sie sich sicher sind und sich zu Hause fühlen. Die Muttersprache ist wichtig, um darauf Denk- und Lernprozesse aufzubauen und ebenso dem Fühlen sprachlichen Ausdruck zu geben.

Viele der Eltern sehen die Kitas leider nicht als Erziehungs- und Bildungseinrichtung. Von daher erkennen sie nicht die Notwendigkeit, ihr Kind in solche pädagogischen Einrichtungen zu schicken. Dies führt unter anderem zu geringen deutschen Sprachkenntnissen, welche eine denkbar schlechte Voraussetzung für einen Schulbesuch schaffen und die Benachteiligung manifestieren. Von daher ist sofortige Informations- und Aufklärungsarbeit notwendig.

Hinzu kommt, daß die meisten betroffenen Familien in unserer Einrichtung sozial benachteiligt sind (83 Prozent Arbeitslosen- und Sozialhilfeempfänger), mehrere Kinder haben und sich deshalb die Beiträge nicht leisten können. Dies machte sich besonders bemerkbar, als von der Fehlbedarfsfinanzierung zum Platzgeld umgestellt wurde. Dies führte auch zur Verschlechterung der personellen Besetzung in den noch vorhandenen Arbeitsbereichen, zum Beispiel des Schülerladens und der Vorschule. [...]

Das derzeitige (noch schlechtere) Angebot der Jugendverwaltung einer 73prozentigen Kostenübernahme, 13prozentiger Elternbeteiligung und 14prozentiger Trägerbeteiligung gefährdet die pädagogische Arbeit und wird letztendlich zu Schließungen vieler Einrichtungen freier Träger führen, die solch eine hohe finanzielle Eigenbeteiligung nicht tragen können. Von daher fordern wir neue Verhandlungen, die zu einer realistischen Finanzierungspolitik, auch unter Berücksichtigung der pädagogischen Aspekte, führen. Oder ist Integration nur eine Werbekampagne der Politiker? Vorstand und MitarbeiterInnen der „Putte e.V.“, Berlin

Koalitionsvertrag ohne grüne Handschrift

betr.: „Abnicken, runterwürgen, weglächeln!“, „Die knallbunten Farben sind einem zarten Pastell gewichen“, taz vom 26. 10. 98

Den 40 Wackeren unter Euch möchte ich mein Lob aussprechen. Ihr habt Euch dem Harmoniegebot unseres großen Vorsitzenden Joschka Fischer widersetzt und nicht nur einfach abgenickt und sämtliche Kröten runtergewürgt, die die SPD uns vorgesetzt hat. [...] In dem Vertrag kann ich leider keine grüne Handschrift erkennen. In allen Politikbereichen hat sich die SPD durchgesetzt. [...] Ich kann die Mehrheit von Euch leider nicht verstehen und bin maßlos enttäuscht. Philipp Horn, Karlsruhe

Die BDK der Grünen hat am vergangenen Wochenende endgültig den letzten Schritt vollzogen, der noch nötig war, ein neues gesamtdeutsches Politikkonzept zu beerdigen: Bündnis 90/Die Grünen. Für die Regierungsteilnahme hat die Partei wissentlich die Chance vertan, der Berliner Republik eine andere Perspektive zu eröffnen, die sich grundsätzlich von der Bonner Sichtweise hätte absetzen können.

Eine 1993 als neue Partei angetretene Kraft setzt wenigstens innerparteilich entscheidende Akzente, die einen Politikwechsel symbolisieren und einen anderen Stil im Umgang mit Macht und Einfluß aufzeigen. Statt dessen wurden endgültig althergebrachte und abgestandene Parteirituale zelebriert. [...] Thomas Kreutzer, Berlin

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