Eine neue Initiative des Dalai Lama soll den Dialog mit China in Gang bringen

Bewegung in die verhärteten Fronten zwischen Chinas Führung und dem Dalai Lama könnte eine neue Erklärung bringen, die das Oberhaupt der Tibeter nach Auskunft ihm nahestehender Kreise vorbereitet und wahrscheinlich nächste Woche in den USA vorstellen wird. Die Erklärung sei „konstruktiv und entgegenkommend“, sagte Kelsan Gyaltsen, der Sekretär des Dalai Lama, am Montag im norddeutschen Schneverdingen. Dies könnte bedeuten, daß der Dalai Lama Chinas Oberhoheit anerkennt. Die chinesische Regierung wurde laut Gyaltsen um informelle Konsultationen gebeten. Der Friedensnobelpreisträger warte jetzt auf eine positive Antwort.

Eine indirekte Bestätigung sind auch die jüngsten Angriffe Pekings gegen den Dalai Lama. Der Sprecher des Außenministeriums, Tang Guoqiang, hielt dem Tibeter am Dienstag vor, sich an die Weltöffentlichkeit zu wenden, statt im stillen mit Peking zu verhandeln. „Der Dalai Lama muß seine vorgefaßte Meinung über die Unabhängigkeit Tibets aufgeben und die Aktivitäten, das Vaterland zu spalten, beenden“, so Tang Guoqiang. Der Dalai Lama müsse erklären, daß Tibet ein untrennbarer Teil Chinas sei, Taiwan eine Provinz Chinas und Peking die einzig rechtmäßige Regierung.

Der Sprecher benutzte allerdings erstmals den Begriff „Konsultationen“ und sprach nicht nur von „Kanälen“, die zwischen beiden Seiten bestünden – ein klares Indiz für eine Intensivierung der Kontakte. Einer Quelle zufolge laufe der Kontakt über chinesische Geschäftsleute.

Am Montag hatte der Außenminister der tibetischen Exilregierung, Tsewang Tethong, auch Pläne für eine China-Reise des Dalai Lama bestätigt, die am vergangenen Wochenende erstmals an die Öffentlichkeit gelangt waren. Im Gespräch sei, daß der Friedensnobelpreisträger eine „private Pilgerreise“ zu einem Tempel auf dem heiligen Berg Wutai in der Provinz Shanxi unternehmen und sich dort oder in Peking mit Staats- und Parteichef Jiang Zemin treffen könne, so Tsewang Tethong.

Es wäre die erste China-Reise des Dalai Lama seit seiner Flucht aus Tibet. 1959 verließ er nach einem niedergeschlagenen Aufstand seine Heimat. In der Folgezeit forderten Massaker der Volksarmee, durch die Kollektivierung bedingte Hungersnöte und die Auswüchse der Kulturrevolution viele Opfer unter den Tibetern. Während der Dalai Lama von „kulturellem Völkermord“ und einer Million Opfern spricht, räumt Peking lediglich die Ausschreitungen der Roten Garden ein.

Als Auslöser des neuen Dialogversuchs zwischen beiden Seiten gilt der China-Besuch von US-Präsident Clinton Ende Juni. Von Clinton darauf angesprochen, antwortete Jiang, einem Dialog stünde nichts im Wege, sofern der Dalai Lama Chinas Hoheit anerkenne. Als ermutigend gilt, daß Peking Mitte Oktober auch mit Taiwan wieder den Dialog aufgenommen hat. Mit Rücksicht auf Peking sagte der Dalai Lama kürzlich einen Taiwan-Besuch ab.

In der Vergangenheit sind Gespräche immer wieder gescheitert. Zuletzt hatte der Dalai Lama 1988 in einer Rede vor dem Europaparlament in Straßburg eine große Initiative gestartet. In einem Fünf-Punkte-Plan verknüpfte er Forderungen nach größerer Autonomie Tibets und seiner Demilitarisierung mit einer Assozierung zu China, was der Volksrepublik die Hoheit über Tibets Außenpolitik belassen würde.

Auf den zuvor mit den Chinesen nicht abgesprochenen Plan reagierte Peking kühl. Zwar gab es in den 80er Jahren in Chinas Führung auch verhältnismäßg liberale Politiker wie den KP-Generalsekretär Hu Yaobang, der Chinas Tibet-Politik als „puren Kolonialismus“ bezeichnete. Doch Hu wurde 1987 geschaßt. Später führten Aufstände in Lhasa zur Verhängung des Kriegsrechts und einer Verhärtung der chinesischen Position. Unter jungen Tibetern im Exil gibt es deshalb nicht wenige, die eine militärische Strategie gegen die Besatzer fordern. Sven Hansen