piwik no script img

Auf die Wahrheit muß die Versöhnung folgen

■ Viele Opfer der Apartheid konnten vor der Wahrheitskommission ihre Leidensgeschichte erzählen, doch nun fehlt es an psychologischer Betreuung und finanzieller Entschädigung

Vom Leben erwartet Potlako Seboshego nicht mehr viel. Von der südafrikanischen Wahrheitskommission auch nicht: „Ich bin halb blind, was soll aus einem wie mir noch werden.“ Die Stimme des 29jährigen zittert vor Bitterkeit. Vor mehr als einem Jahr hat er in Johannesburg vor der Kommission seine Geschichte erzählt, in einer Spezialanhörung für traumatisierte Jugendliche.

Er hat erzählt, wie damals, Mitte der 80er Jahre, die gefürchtete Geheimpolizei vor dem Haus seiner Eltern in der Schwarzensiedlung Daveyton bei Johannesburg stand und ihn mitschleppte, weil er in den Schüleraufständen gegen das weiße Regime aktiv war. Wie ihn die Polizei später, während eines fröhlichen Trinkgelages, schwer mißhandelte. Der damals 17jährige Schüler verlor in der Haft ein Auge, für immer. Heute leidet er an so schweren Konzentrationsschwierigkeiten, daß er sein Studium aufgeben mußte. Seither lungert er zu Hause herum, auf Kosten seiner Eltern, denn einstellen will einen wie ihn niemand.

Nichts hat sich geändert seit seiner Aussage. Einmal war er bei einem Sozialarbeiter, aber helfen konnte der auch nicht. Alles, was Potlako jetzt noch will, ist eine Entschädigung vom Staat.

Jetzt, am Ende des schmerzhaften Prozesses der Wahrheitsfindung, hoffen viele schwarze Südafrikaner darauf, wenigstens einen kleinen materiellen Ausgleich zu bekommen. Mehr als 30.000 Personen hat die Kommission als Opfer identifiziert. 800 besonders dringliche Fälle haben vor kurzem als erste Geld erhalten. Bereitstellen muß das allerdings die Regierung, denn die Kommission hat keinen eigenen Etat für Reparationszahlungen. Ihren Empfehlungen zufolge soll ein Opfer maximal fünf Jahre lang zwischen 2.000 und 6.000 Rand im Monat erhalten (560 bis 1.700 DM). Das klingt nach reiner Symbolik, ist aber in einem Land, in dem ein Viertel aller Haushalte ein Einkommen von weniger als 500 Rand im Monat hat, nicht wenig Geld.

Bei weitem nicht alle Opfer sind so bitter wie Seboshego. Für viele schwarze Südafrikaner war die Wahrheitskommission eine Gelegenheit, endlich ihre Geschichte zu erzählen und eine öffentliche Anerkennung des ihnen zugefügten Unrechts zu erhalten. Bis zuletzt blieb die „Kommission für Wahrheit und Versöhnung“, wie sie offiziell heißt, allerdings in der Bevölkerung umstritten: Viele Schwarze halten die Amnestieregelung für zutiefst ungerecht, die es erlaubt, daß die Täter von einst nun frei herumlaufen. Allerdings beurteilt eine Mehrheit die Arbeit der Kommission positiv. Ganz anderer Meinung ist die weiße Minderheit: 70 Prozent sind der Ansicht, daß es nun um die Versöhnung schlechter bestellt sei als zuvor, zwei Drittel halten ihre Arbeit für unfair.

Die Leistung der Kommission liegt nicht zuletzt darin, eine Art kostenloser Therapie für Tausende von bis dahin namen- und stimmlosen Opfern ermöglicht zu haben. Reguläre psychologische Behandlung werden auch in Zukunft nur die wenigsten erhalten, dafür fehlt es an sozialtherapeutischer Infrastruktur – und am Geld. Genau das allerdings kritisieren einige Psychologen und Sozialarbeiter. „Für viele Opfer war das alles nur ein Anfang“, sagt Graham Simpson, Direktor des „Zentrums zum Studium von Gewalt und Versöhnung“ in Johannesburg. „Damit aber läßt man sie nun vollkommen allein. Das ist für manche schmerzhafter als die jahrelange Verdrängung.“

Das Erzählen hätte durchaus kathartische Wirkung gehabt, glaubt sein Kollege Nomfundo Walaza, der Traumaopfer behandelt. Die eigentliche Arbeit in Südafrika beginne aber erst jetzt, denn längst nicht alle Opfer hätten automatisch den Tätern vergeben. „Dieses Land hat den Prozeß hinter sich gebracht, die Wahrheit zu hören, aber es wird vermutlich noch viele Jahre auf der Wahrheit schlafen, ehe wir auch nur anfangen mit der Versöhnung.“

Selbst Kommissionsmitglieder fürchten, daß nun die Akten in einem neu eingerichteten Archiv verstauben werden – folgenlos. „Wir müssen erst einmal eine wirkliche Zivilgesellschaft schaffen, in der Menschenrechte nicht nur in der Verfassung stehen“, fordert Kommissionsmitglied Yasmin Sooka. Zudem gibt es in Südafrika noch längst keinen Konsens darüber, was Versöhnung denn eigentlich heißt. Während sie für den tiefgläubigen Christen Desmond Tutu am Beginn eines sozialen Transformationsprozesses steht, sieht es der künftige Präsident Thabo Mbeki genau umgekehrt. „Wirkliche Versöhnung kann es nur geben, wenn wir unser Ziel einer sozialen Transformation erreicht haben“ – ein Satz, mit denen er die Weißen am Kap das Fürchten lehrt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen