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Libeskind in die Schublade

■ „Musicon“-Förderkreis nimmt Abschied vom Konzerthaus-Entwurf des Star-Architekten / Kulturforum im Postamt 5 mit VHS und Stadtbibliothek?

Ein Sortiment von Quadern – raffiniert ineinander verschachtelt und mittendrin die Bühne für Orchester der Spitzenklasse: So stellen sich der US-amerikanische Architekt Daniel Libeskind und der Bremer Förderkreis „Musicon“ ein Konzerthaus vor, das auch außerhalb Bremens Beachtung findet. Doch der Traum vom Libeskind-„Musicon“, das der Förderkreis auf der Bürgerweide bauen und ursprünglich schon Anfang September nächsten Jahres eröffnen wollte, ist jetzt offenbar ausgeträumt. „Wir mußten in den letzten Monaten feststellen, mit der Realisierung dieses weltweit anerkannten Entwurfs keinen Schritt weitergekommen zu sein“, sagte der Förderkreis-Sprecher, Ex-Gewoba-Chef und Ex-Baustaatsrat Eberhard Kulenkampff gestern hörbar verbittert. Doch eine echte Bremer Bürgerinitiative gibt nicht so schnell auf. Statt eines Libeskind-Neubaus ist jetzt das leerstehende Postamt 5 am Hauptbahnhof ins Visier der rüstigen MusikfreundInnen gerückt.

Unter dem Begriff „Kulturforum am Hauptbahnhof“ setzen sich Kulenkampff und Co. dafür ein, nahezu alle Kultureinrichtungen, die eine neue Heimat suchen, im Komplex hinter der denkmalgeschützten Fassade unterzubringen. Für 50 Millionen Mark könnte das Innere des riesigen Gebäudes so weit entkernt werden, daß mühelos ein Konzertsaal mit bis zu 2.800 Sitzplätzen darin Platz findet. Damit wäre das „Musicon“ im alten Gebäude um die Hälfte billiger als der Libeskind-Neubau. Nach dem Entwurf, den Kulenkampff gestern präsentierte, sollen sich die ersten Reihen unter die Bühne schieben lassen, so daß in der teilweise unbestuhlten Halle bis zu 3.300 Menschen einem Rockkonzert lauschen, auf dem Parkett Eiswett-essen und all das machen können, was in der Glocke wegen der festen Bestuhlung nicht mehr möglich ist.

Für weitere 50 bis 70 Millionen Mark können laut Förderkreis die Volkshochschule, die Stadtbibliothek, das Gästehaus des Goetheinstituts sowie Einzelhandel untergebracht werden. Damit nicht genug: Auch für eine Garage mit 500 Parkplätzen sowie für ein Theater mit 550 Plätzen (Stichwort: Bremer Shakespeare Company) wäre noch immer mühelos Platz. Der „Musicon“-Förderkreis und die Baugesellschaft „Weser-Wohnbau“, die das Vorhaben unterstützt, haben das Projekt jetzt der Bürgerschaft und dem Senat vorgelegt und drängen auf eine Entscheidung bis Ende Januar. Dabei sieht „Weser-Wohnbau“-Chef Manfred Zimmermann ein Argument auf seiner Seite: Alle rein privaten Projekte hätten sich in der Immobilie als nicht machbar erwiesen.

Der 1991 gegründete „Musicon“-Förderkreis stützt sich nach wie vor auf ein Gutachten, das die Unternehmensberatung Roland Berger vor fast drei Jahren für den Verein erstellt hatte. Demnach wäre das „Musicon“ keine Konkurrenz zu der erst vor wenigen Monaten wiedereröffneten Glocke an der Domsheide. Konzerte weltberühmter Orchester seien in der Glocke nur mit Sponsoren zu finanzieren, so Kulenkampff. Deshalb bestehe Bedarf für einen größeren Saal.

Das Berger-Gutachten hatte dem Förderkreis allerdings auch attestiert, daß sich ein 2.500-Plätze-Haus in Bremen nur mit einem hohen Anteil an sogenannter U-Musik wirtschaftlich betreiben lasse. Und wenn man heute die Klassik-Szene darüber stöhnen hört, mit welchem Staubsauger-Effekt das Musikfest den Markt dominiert und es für VeranstalterInnen vor und nach dem Festival schwer macht, die Säle zu füllen, hat sich an Bergers Einschätzung nichts geändert. Wie schon beim Libeskind-Projekt setzt der Förderkreis auf gute Erreichbarkeit des Postamts alias „Kulturforums“ und somit auf BesucherInnen aus der ganzen Region. Doch darauf setzt auch das Musikfest, erreicht aber nur zehn Prozent Nicht-BremerInnen. Beim Musical-Theater am Richtweg ist Kulenkampff jedenfalls erheblich skeptischer als beim eigenen Projekt: „Wenn das mit dem Musical zu Beginn erstmal vorbei ist, hat Bremen ein hervorragendes Opernhaus. ck

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