■ Bewegungsmelder: Die Bewegung ist tot. Es lebe die Immobilie
Anfang 1996, als der damals neue Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) ankündigte, das Hausbesetzerproblem zu lösen, war die Hausbesetzerbewegung längst zersplittert und ohne politischen Mumm. Zwei Jahre später, als der heute kurz vor seinem Abgang stehende Innensensator nach der insgesamt 14. Räumung die besetzerfreie Hauptstadt verkündete, war es nicht anders. Dazwischen aber hatte Schönbohm nicht nur Hunderte von Besetzern auf die Straße gesetzt und Tausende zum Demonstrieren veranlaßt, sondern auch einer alten, fast zum Scheitern verurteilten Idee neuen Schwung verliehen.
Schon Ende 1993 war auf einem Treffen des BesetzerInnenrates im Stadtbezirk Friedrichshain die Idee geboren worden, eine eigene Genossenschaft zu gründen. Sie sollte Rechtssicherheit für die noch besetzten Häuser geben. Auch die BewohnerInnen der damals schon etwa 100 Häuser, die meist durch klassische Mietverträge legalisiert worden waren, sahen wegen Restitutionsansprüchen einer ungewissen Zukunft entgegen. Von der erträumten Selbstverwaltung unter dem Motto „Die Häuser denen, die drin wohnen“ waren die BesetzerInnen weit entfernt.
So machte sich eine Handvoll zäher AktivistInnen an die Arbeit. Gerhard Fuchs war einer von ihnen. 1995 gehörte der Hausbesetzer zu den Gründern der SOG, die Selbstverwaltete Ostberliner GenossInnenschaft. Anfangs konnte der angehende Rechtsreferendar Fuchs seine Kenntnisse aber nur im Kampf mit dem Genossenschaftsdachverband einsetzen, der sich lange sträubte, das große, geschlechtsneutrale „I“ im Namen der SOG einzutragen. Denn die BesetzerInnen sträubten sich gegen den Weg zur Selbstverwaltung. Erst nach dem von Schönbohm erzeugten Räumungsdruck erinnerten sich die Hausprojekte an die SOG. Bei zwei Projekten kam die SOG zu spät. Sie wurden geräumt. Aber im März 1997 konnte die SOG ihr erstes Haus, die Kreutziger Straße 23, kaufen. Vorgestern feierte sie nach zähem Kampf den Erwerb der zweiten Immobilie, der Rigaer Straße 83.
Lange Zeit hatten sich die Eigentümer des Hauses gegen den Verkauf an die SOG gesperrt. Ausgerechnet der mit dem Verkauf beauftragte Berliner Immobiliengroßhändler Bendzko brachte Bewegung in die Verhandlung. Zur Finanzierung der 540.000 Mark für den Kauf konnte die SOG auf die Genossenschaftseinlagen der etwa vierzig BewohnerInnen zurückgreifen. Kredite gab es von der anthroposophisch orientierten Gemeinschaftsbank für Leihen und Schenken in Bochum. Weitere finanzielle Unterstützung steuerten zwei etablierte Projekte aus der früheren Besetzerszene bei.
Die BewohnerInnen der Rigaer Straße 83 sehen den Kauf mit gemischten Gefühlen. „So wie vorher, so günstig, so frei nach Schnauze, wird es nie wieder“, sagt Hausbesetzer Christian. Nicht nur die anstehende Sanierung des Hauses, die mit Fördermitteln des Landes Berlin und vielen unbezahlten Selbsthilfestunden umgesetzt werden soll, bereite ungewohnte Ängste. Auch die Hausverwaltung in Eigenregie, die die BewohnerInnen mit der SOG vereinbart haben, müsse erst mal bewerkstelligt werden.
Gerhard Fuchs hofft unterdessen, die SOG durch den Kauf weiterer Häuser zu „konsolidieren“. Bei zwei Projekten stehe man derzeit in Verhandlungen. Vier Häuser, so Fuchs, das sei zwar angesichts der Ursprungsidee der breiten Vernetzung der fast 150 besetzten Häuser in Ostberlin „mager, aber besser als gar nichts“.
Das Engagement ist keineswegs auf den Hausjuristen beschränkt. Ein zufällig in die Projektvorstellung geratener Rentner kündigte lauthals an, gleich mehrere tausend Mark einzubringen. Außerdem will der ehemalige Agraringenieur seine Beziehungen aus DDR-Zeiten nutzen, um der hauseigenen Food-Coop die billigsten und besten Kartoffeln zu besorgen. Gereon Asmuth
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