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No more Fräuleins

After the Wende: Nöte und Wunder am Rande des Broadway – das German Theater Abroad will zeitgenössische deutsche Dramatiker in New York bekanntmachen. Beiderseits des Atlantiks ist man entzückt  ■ Von Christiane Kühl

Man kann auch in der Welt der schönen Künste Probleme haben und darunter ganz entschieden fiese. Vier Monate an einer Reihe von szenischen Lesungen zu arbeiten, in der Stadt der Städte ein Theater anzumieten, Schauspieler zu engagieren und für sechs Autoren von der anderen Atlantikseite Flugtickets zu organisieren, um dann vier Wochen vor der Premiere des Projekts zwiebacktrocken mitgeteilt zu bekommen, das Theater sei verkauft und der abgeschlossene Vertrag damit nichtig, ist irgendwie unfair. Ronald Marx, gebürtiger Amerikaner, aufgewachsen in Deutschland und seit drei Jahren in New York lebend, nennt es sogar „dramatisch“, obwohl die Sache mit dem Cherry Lane Theatre in Greenwich Village mitnichten das erste Mal war, daß ihm in seiner Wahlheimat trotz fester Spielstätte ein Projekt vor den Augen zerbröselte.

Vor zwei Jahren hatten er, Christian Kahrmann und Jerreth J. Merz sich um die New Yorker Rechte von Joshua Sobols Ghetto bemüht. Während die zuständige Agentur International Creative Management (ICM) die Anfrage wohlwollend über diverse Schreibtische schob, fanden die drei Jungs den idealen Aufführungsort: eine von litauischen Juden erbaute, leerstehende Synagoge in der Lower East Side. „Du bekamst 'ne Gänsehaut, wenn du nur reingingst.“

Später kam die, weil sie nicht hineindurften. Obwohl Sobol persönlich das Projekt telefonisch guthieß, stand am Ende der ICM-Ablagen-Odysee eine deutliche Absage. Die Idee, das Drama, das neben die Opfer auch jüdische Täter stellt, in Amerika von jungen Deutschen inszenieren zu lassen, schien dort geschmacklos. „Ihr seid Deutsche, also macht doch was deutsches“, so die wenig phantasievolle PC-Empfehlung.

Obwohl die drei Thirty-somethings diese Argumentation nicht nachvollziehen wollten, nahmen sie sich den Vorschlag zu Herzen. Dazu muß man wissen, daß auch dies nicht die erste Schlappe gewesen war, die sie in New York einstecken mußten: Nach Abschluß ihrer Schauspielausbildung am HB-Studio, wo Marx, Merz und Kahrmann sich 1985 kennenlernten, folgten einschlägig abschlägige Audition-Tours.

Das Prinzip von Theaterkarrieren in New York aber ist einfach: To Be Or Not To Be. Wer nicht präsentiert wird, muß sich selbst präsentieren, oder er existiert nicht. „Wir entschieden uns, uns einen Rahmen zu schaffen; Stücke zu produzieren, die uns interessieren und die Rollen für uns haben.“ So wurde 1996 das German Theater Abroad (GTA) geboren – eher aus pragmatischen als idealistischen Impulsen.

Marx' Augen leuchten trotzdem. Denn „dann kam der Schneeballeffekt“. Der erste Schneeball zielte noch einmal ins Gesicht, aber mittlerweile waren die Deutsch-New- Yorker wendiger geworden. Nach der Sobol-Absage hatten sie sich entschlossen, das broadwayverwöhnte Publikum über Klaus Pohls „Die schöne Fremde“ mit zeitgenössischer deutscher Dramatik bekanntzumachen. Für ein Volk, dessen Deutschlandbild nach Einschätzung der Ex- Goethe-Institut-Mitarbeiterin und heutiger GTA-Assozierten Kimberley Bradley bis heute auf Dichter und Denker, Fräuleins und Hitler beschränkt ist, vermutlich die richtige Wahl: Das Stück erzählt recht klischeehaft die Geschichte einer schwarzen amerikanischen Jüdin auf der Reise durch die bundesrepublikanische Provinz, wo sie nicht nur auf eine Horde dumpfer Antisemiten und Ausländerfeinde trifft, sondern auch gleich noch vergewaltigt wird.

Kaum hatte das GTA Kontakt mit Klaus Pohl aufgenommen, war zu erfahren, daß es einen weiteren Bewerber um die Aufführungsrechte gebe. Diesmal aber waren die Männer entschlossen. Innerhalb von vier Tagen wurden Schauspieler, fünfzig Stühle und ein Galerieraum in TriBeCa für eine szenische Lesung organisiert und in einem Anfall des Muts der Verzweiflung Barbara Sukowa, die gerade für eine Benefizveranstaltung im East Village zu Gast war, zum Sprechen der Titelrolle überredet. Die Lesung wurde ein voller Erfolg. Seitdem laufen Kahrmann, Merz und Marx on the sunny side of the street. Im Februar kommenden Jahres wird das GTA „Die schöne Fremde“ in einer vom Autor überarbeiteten Version off Broadway präsentieren.

Im Reich der schönen Künste kann man nämlich auch verdammt viel Glück haben: Generalmanager der Produktion wurde Steven Levy, ein New Yorker Topproduzent, der die Angelegenheiten der mittellosen Theatermacher für einen Montblanc-Füller erledigt. Auch ihr Laywer betonte, umsonst würde er im Theater-Business nicht mehr arbeiten – ihn bezahlen sie mit dem Versprechen, wenn sie mal reich und berühmt sind, anderen talentierten Hungerkünstlern den Anwalt zu finanzieren. Die Kaplan-Foundation unterstützt das um die 300.000 Dollar schwere Projekt, und auch aus Deutschland kommen Gelder für die Non-Profit-Organisation GTA.

Gerade auf dieser Seite des Ozeans ist man an einer Initiative, deutsche Dramatiker in New York zu puschen, verständlicherweise sehr interessiert. Unverhofft sehen sich die drei Schauspieler in die Rolle von Produzenten gedrängt. „Der Boden war da“, kommentiert Marx den Gang der sich seit kurzem überschlagenden Ereignisse. „Wir haben da ein Saatkörnchen reingeworfen, und es geht auf wie ein kleines Wunder.“ Weil Wunder ungern bis Februar warten, um ihr Potential auszuschöpfen, hat das GTA vorher noch eine Reihe szenischer Lesungen von „New German Voices“ organisiert.

„No More Fräuleins“ steht auf dem Flyer zum Programm, das zusammen mit der Berliner Autorenvereinigung Theater Neuen Typs (TNT) erstellt wurde. Bis Ende November werden Andreas Marber, Simone Schneider, Alexej Schipenko, Daniell Call, Melanie Gieschen, Dea Loher und Klaus Pohl im Cherry Lane Theater in Greenwich Village englischen Übersetzungen ihrer Werke lauschen. „They reflect the German life as it is: after the Wende“, erklärt Pressesprecherin Bradley eindringlich am Telefon. Zwar widerlegt sie mit ihrer Wortwahl die eigene These, daß nach Hitler keine politischen deutschen Daten mehr ins amerikanische Bewußtsein gedrungen wären, doch zeigt sie auch, daß diese Informationen und Begriffe nicht immer ganz geordnet sind.

Die „Wende“, von der sie als dem Einschnitt spricht, dessen Konsequenzen die Literatur der jungen Dramatiker reflektiert, meint die Wiedervereinigung. Telegen, wie so ein historischer Mauerfall nun mal ist, hat er jeden amerikanischen Haushalt erreicht. Die neue Bundesregierung wird es damit schwerer haben. Es wird dauern, bis man in New York den Namen Schröder buchstabieren kann. „Es muß eine Identifikationsmöglichkeit geben“, erläutert Jerreth Merz die Auswahl der Stücke ihrer bis Ende nächsten Monats laufenden Lesereihe: „Die Menschen hier sind an funktionierenden Geschichten und Schicksalen interessiert.“ Formale Neuerungen sind im Theater-Business nicht so angesagt, allzu schreckliche Schicksale auch nicht.

„Die New Yorker stehen sowieso alle kurz vorm Selbstmord“, hatte Levy ihnen mit auf den Weg gegeben, „die gehen nicht ins Theater, um dann von der Brücke zu springen.“ Trotzdem: „New York und Berlin liegen auf einer Achse“, behauptet Marx, „was in Berlin die Bezirke sind, sind hier die Neighbourhoods: andere Welten. Wir wollen die kulturelle Einbahnstraße im Theaterbereich aufheben.“ Gespräche über eine Koproduktion mit dem Berliner Baracken-Chef Thomas Ostermeier im Big Apple laufen schon.

Warum New York junges deutsches Theater braucht? „Das wissen wir auch nicht“, grinst Ronald Marx. „Das suggerieren wir.“

Die Veranstaltungen im Rahmen von „New German Voices“ finden bis zum 30. November statt. Nächste Termine: 2.11.: „Sheet Lighting“ von Daniel Call, 9.11.: „Malaria“ von Simone Schneider, 16.11.: „Merciless“ von Melanie Gieschen, 23.11.: „Tattoo“ von Dea Loher und 30.11.: „Ausgewählte Schriften von Klaus Pohl“.

Cherry Lane Theater, 38 Commerce Street, Manhattan (Kontakt: Fax: (001/212) 228 07 66

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