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Von der Oder bis zur Saar

Der Deutsche PEN ist endlich rechtskräftig in einem Verband vereint. Nun stellt sich die bange Frage: Was kommt nach dem Streit um die Ost-West-Gegensätze?  ■ Von Jörg Magenau

Acht Jahre dauerte die Einheitsdebatte in den beiden deutschen PEN-Zentren. Am Ende ging alles so leicht wie beim Regierungswechsel: Die beiden alten Präsidien aus West und Ost verließen das Podium, und der neue Vorstand mit dem Präsidenten Christoph Hein nahm dort unter einem gewaltigen Kruzifix Platz. Man tagte im Festsaal der Drei-Königs-Kirche in Dresden vor einem scheußlichen Wandbild, wo die Beladenen der Welt in gräßlich verknoteten Posen zu Kreuze kriechen. Gnade! Gnade! Wie hält man das aus?

Letztmalig ließ sich vor diesem Passions-Background der Ost- West-Gegensatz studieren und die Notwendigkeit der Einheit schon daraus ableiten, daß man in Zukunft nicht mehr doppelte Grußworte doppelter Präsidenten und doppelte Berichte der Generalsekretäre, der Writers-in-Prison-Beauftragten und der Schatzmeister zu ertragen hat. Während Ost-Präsident B. K. Tragelehn ein Gedicht vortrug, das vom Roten Stern handelte, von verlorenen Hoffnungen, vom toten Marx, vom lebenden Jesus und umgekehrt, wies West-Präsident Karl Otto Conrady darauf hin, daß die Einladung fristgemäß ergangen sei und stellte die Beschlußfähigkeit der Versammlung fest. Während Ost-Generalsekretär Jochen Laabs sich noch einmal mühsam an der deutschen Einheit abarbeitete und schriftstellerische Identität in fragwürdigen Metaphern umkreiste („Schriftsteller sind die Animateure des gegenseitigen Verständnisses, der Kulanz und Noblesse, die Cheer leaders der Menschlichkeit“), lieferte Johano Strasser einen staubtrockenen Rechenschaftsbericht über die Aktivitäten der vergangenen Monate ab: „Daß der PEN auch in diesem Jahr wieder mit einem eigenen Stand auf der Buchmesse in Frankfurt präsent war, werden viele von Ihnen bemerkt haben.“

Sicher sind diese Differenzen in erster Linie eine Charakterfrage. Doch die Vermutung, daß im gesamtdeutschen PEN die Ostler mit Jeans und weißen Bärten das Wärmebedürfnis, den Biographismus und die Dichterdarstellerei einbringen, während die Westler sich als Politiker und abgeklärte Pragmatiker zu inszenieren suchen, wäre nicht ganz von der Hand zu weisen – wäre da nicht der neue Präsident Christoph Hein, dem jede Inszenierung und Selbstdarstellerei gleichermaßen suspekt sind. Das hat er auch nicht nötig. Sein Ansehen – als Autor und als moralisch integere Person – ist in Ost und West gleichermaßen groß. Von ihm weiß man, daß er nur dann spricht, wenn es nötig ist: 1987 forderte er in einer Rede vor dem Schriftstellerkongreß der DDR die Abschaffung der Zensur; im November 1989 gehörte er zu den Rednern auf dem Alexanderplatz. Jetzt muß er sich um die Tagesordnung kümmern, und es ist ihm anzumerken, daß ihm das keine Freude macht. Aber einer muß es ja tun, und weil der PEN kaum einen Geeigneteren hätte finden können, ließ er sich eben „in die Pflicht nehmen“, wie es so schön heißt.

„Ich habe mich für keine Wahl zu bedanken, da ich nicht gewählt bin“, konstatierte Hein nüchtern, und so ist es: Das Gesetz zur Verschmelzung von Vereinen sieht vor, daß in diesem Fall die beiden alten Präsidien einen neuen Vorstand ernennen – und so war Hein in dem Moment im Amt, in dem die Versammlung (getrennt nach Ost- und Westmitgliedern) noch einmal mit überwältigender Mehrheit für die Einheit stimmte, auch wenn es da noch niemand wußte. Die Wiederholung der Wahl war nötig geworden, weil bei den Abstimmungen im April und Mai keine Notare anwesend und die Einheitsbeschlüsse damit juristisch unwirksam waren.

Peinlich, peinlich. Die Lage drohte schon wieder kompliziert zu werden. Und es gehört zum festen Bestand von PEN-Kongressen, daß die Redner in schöner Zuverlässigkeit betonen, daß sie Juristendeutsch ganz schrecklich finden. Warum sie aber nicht in der Lage sind, wenigstens einfachste juristische Zusammenhänge zu begreifen, läßt sich nur dadurch erklären, daß das eigene Dichtertum sich scheinbar immer wieder an kokett zur Schau getragener Begriffsstutzigkeit erweisen muß. Komplizierte Problemstellungen wie die Zukunft des Urheberrechts für elektronische Medien haben da von vornherein keine ernsthafte Chance. Das ist vielleicht auch der Altersstruktur des PEN geschuldet, wo selbst die jüngeren Mitglieder wie Alban Nikolai Herbst, Burkhard Spinnen oder Klaas Huizing selbstbewußt Glatze tragen.

Die Angst vor weiteren Umwandlungsgesetzwidrigkeiten war besonders Karl Otto Conrady anzumerken, der es sich als sein Lebenswerk anrechnen darf, den West-PEN vereinigungsreif gemacht zu haben. Er vollführte einen letzten seiner berühmten Eiertänze, versuchte, die Präsidentenernennung als akzeptablen Akt repräsentativer Demokratie schmackhaft zu machen und bat händeringend darum, das sorgfältig austarierte Präsidium mit den Vizepräsidenten Joochen Laabs und Elsbeth Wolffheim (Writers in Prison), dem Generalsekretär Johano Strasser und dem Schatzmeister Sigfrid Gauch zu billigen. Und so geschah es. Christoph Hein durfte sich zwar nicht als gewählt, aber wenigstens als förmlich bestätigt betrachten, aufkommende Demokratiedefizitempfindungen gelangten nicht zur Entfaltung. Doch ein neuerliches Erschrecken war den PEN-Mitgliedern anzumerken: Jetzt, wo wir vereinigt sind, was sollen wir jetzt tun?

Kongresse helfen da mit Tagesordnungen und Antragsdebatten weiter. Da kann man sich trefflich in der Kunst des Umformulierens und Gruppenredigierens üben. Soll man den türkischen Premier Mesut Yilmaz „bitten“ oder von ihm entschieden fordern, den inhaftierten Autor Ismail Beșikçi zu begnadigen? Oder wäre „Freilassung“ besser? Muß es „unverzüglich“ oder besser „umgehend“ lauten? „Obwohl“, „ohnehin“ oder „trotzdem“? Und ist Yilmaz überhaupt der richtige Adressat? Beschlossen wurde schließlich, per Presseerklärung die Auslieferung Pinochets nach Spanien zu befürworten, einen Brief an die brandenburgische Landesregierung zu schicken, mit der Bitte, sich doch noch für Horno und den Erhalt der sorbischen Kultur und Sprache einzusetzen, und schließlich noch ein weiterer Brief in die Türkei, in dem man sich für den inhaftierten Autor und Rechtsanwalt Esber Yagmurdereli einsetzt.

Weniger Glück hatte der in nagelneuem Dreiteiler auftretende Otto Köhler, der, weil ihm nichts Originelleres eingefallen war, eine neue Nationalhymne mit dem Text von Brechts „Kinderhymne“ installiert wissen wollte. Daß er Bertolt mit d geschrieben hatte und auch die Verse nicht fehlerfrei zitieren konnte, war schon unverzeihlich. Schwerer noch wogen die Einwände des Saarländers Ludwig Harig, der seine Bedenken gegen die Brechtsche Grenzziehung vorbrachte. Aus saarländischer Perspektive könne es keinesfalls heißen: „Und nicht über und nicht unter / andern Völkern wolln wir sein / von der See bis zu den Alpen / von der Oder bis zum Rhein.“ Denkbar sei statt dessen die Variante „unter andern Leben wunderbar... von der Oder bis zur Saar“. Betrachte man die geographische Situation allerdings genau, dann fließe ein kleines Flüßchen namens Blies exakt auf der Grenze. Der Vers müsse deshalb lauten: „Alle Menschen wollen dies / von der Oder bis zur Blies.“ Im übrigen, so Harig, sei die Kinderhymne ein eher schwaches Gedicht Brechts, das man besser noch einmal in eine Arbeitsgruppe zurückverweise.

So war auch dieses Thema fröhlich erledigt, und es war bewiesen, daß Humor auf PEN-Tagungen möglich ist. Abends versammelte man sich dann noch einmal zur obligaten Literaturveranstaltung. Die Fortsetzung des Kongresses am nächsten Vormittag sparte man sich aber. So viele Stunden ohne weiteren Tagesordnungspunkt zu verbringen, das hätte man sich nicht zugetraut.

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