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Ältere Herren rocken hart

■ Mit Blohm, Voss und Heidegger beim „No means no“-Konzert im Schlachthof

Zu unserer Überraschung stoßen wir beim „No Means No“-Konzert im Schlachthof auf Dr. Blohm. Durch die Menge nähert sich ihm unbemerkt ein freudig erregter Günther Voss. Als Voss endlich bei dem in die Höhe blickenden Doktor angekommt, ist er nicht mehr zu halten ...

Voss: Ist das nicht fantastisch?!

Blohm: Ach, Sie sind's. Ich muß sagen, daß ich keineswegs so begeistert bin wie Sie.

Voss: Freuen könnten Sie sich ja schon ein bißchen, schließlich haben wir uns seit Monaten nicht gesehen. Wenigstens haben Sie sich nicht verändert. Immer noch der alte Nörgler.

Blohm: Geschenkt! Sagen Sie mir, was Sie für so phantastisch halten?

Voss: Ich hatte eine Vision!

Blohm: Gott verhüte! Habe ich etwas verpaßt?

Voss: Ich habe gesehen, wie man in Würde altert!

Blohm: Würde ist die konditionale Form, von dem was einer ist.

Voss: Das ist garantiert nicht von Ihnen.

Blohm: Das macht es nicht schlechter. Wie altert man nun in Würde?

Voss: Schauen Sie sich „No Means No“ an. Alle drei tragen Brillen, und zwei haben graue Haare. Der eine ist bestimmt schon fast fünfzig und hüpft immer noch mit seinem Baß auf der Bühne herum, während er Punkrock spielt und sich mit Bier bespritzen läßt.

Blohm: Er hat damit gedroht, aufzuhören, wenn die Leute weiterhin mit Bier werfen!

Voss: Ich hätte jedenfalls nicht gedacht, daß Leute in unserem Alter noch so energisch rocken könnten.

Blohm: Das versetzt uns zwei noch nicht in die Lage, es diesen Brüdern gleich zu tun.

Voss: Wenn das kulturelle Geschehen Sie so wenig interessiert, dann sagen Sie mir, warum Sie überhaupt hier sind.

Blohm: Das ist eine etwas längere Geschichte. Sagt Ihnen der Name Heidegger etwas?

Voss: War das nicht so ein Philosoph, der mit den Nazis sympathisierte?

Blohm: Es gibt Leute, die diese Einschätzung als stark geschönt bezeichnen würden. Wie ich vor einigen Jahren erfuhr, hatten diese „No Means No“ einen Narren an diesem Philosophen gefressen. Mein Job war es, sie zu diesem Thema zu interviewen.

Voss: Ich bin beeindruckt.

Blohm: Das müssen Sie nicht. Es war ein Job. Der ältere Herr am Baß jedenfalls bezeichnete Heidegger als einen der größten Denker unserer Zeit. Meine Bedenken, ob das so einfach von politischen Ansichten zu trennen sei, brachten ihn zum lachen. Schließlich konnten wir uns aber auf eine herzlich empfundene Abneigung gegenüber postmoderner Philosophie einigen. Seither jedenfalls stehe ich bei jedem „No Means No“-Konzert in unserer Stadt auf der Gästeliste.

Voss: Das ist allerdings kein Grund, auch hinzugehen.

Blohm: Ich hatte gehofft, Sie würden das jetzt sagen. Das gibt mir die Gelegenheit, zum Ergebnis meiner Betrachtungen zurückzukehren, die ich anstellte, als Sie mich hier antrafen.

Voss: Wenn ich mich recht entsinne, schauten Sie angestrengt nach oben.

Blohm: Korrekt. Ist Ihnen aufgefallen, daß man vor kurzem an genau diesem Ort noch kräftig durchgeregnet werden konnte?

Voss: Das ist das neue Foyer.

Blohm: Was Sie nicht sagen!? Eben dieses hatte ich mir anschauen wollen. Und da überkam mich ein Gefühl von Arriviertheit, daß ich mich fragte, ob nicht heutzutage der bewußte Verzicht auf Nonkonformität die bessere Rebellion ist. Dann aber schaute ich auf den Freimarkt mit seinem eitlen Lichterglanz und wußte: Nein, das ist auch keine Alternative, nur eine geschmäcklerische Variation auf ein und dasselbe Thema.

Voss: Ich verstehe Sie nicht!

Blohm: Na, es ist Entertainment, egal, ob ich zu den Rolling Stones gehe oder zum Punkrock in ein kleines Jugendfreizeitheim.

Voss: Sie sind heute abend schon der Vierte, der die Rolling Stones als Vergleich heranzieht. Ich sehe nicht, was das bringen soll.

Blohm: Nichts. Ich hatte mich gerade durchgerungen, meine Brille abzugeben und ein bißchen vor der Bühne zu den Ramones-Songs zu tanzen, die unsere musizierenden Altersgenossen wie immer am Ende ihrer Show plazieren. Würden Sie mich begleiten?

Voss: Gern. Auch wenn ich mich frage, warum Sie es sich so schwer machen, einen netten Abend zu verbringen.

Blohm: Ein andermal. Ich will mich amüsieren.

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