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Angekündigte Katastrophe

Der Erdrutsch in Nicaragua ließ sich nicht vermeiden, die vielen Toten sehr wohl. Opfer von „Mitch“ wurden die Armen  ■ Von Toni Keppeler

Hurrikan „Mitch“ hat in Zentralamerika bislang rund 7.000 Tote hinterlassen, und die Politiker setzen, wie sich das für solche Anlässe geziemt, ihre Trauermine auf. Nicaraguas Präsident Arnoldo Aleman verhängte drei Tage Staatstrauer, nachdem am Vulkan Casita eine riesige Schlammlawine 1.500 Menschen verschüttet hatte. In einer Fernsehansprache redete er von einer „furchtbaren Katastrophe“ und dem „größten Verlust an Menschenleben seit dem Erdbeben von 1972“. Daß er selbst einen Teil der Schuld an dieser Katastrophe hat, erwähnte er nicht. Der Erdrutsch war wohl kaum zu vermeiden. Aber es mußte nicht sein, daß dabei 1.500 Menschen ums Leben kommen.

Der 1.405 Meter hohe Vulkan Casita liegt in der weiten Pazifikebene im Nordwesten Nicaraguas. Berichte von Überlebenden deuten darauf hin, daß sich sein Krater im Laufe der tagelangen Regenfälle langsam mit Wasser füllte. In der Nacht zum Freitag hielt der völlig durchgeweichte Kraterrand dem Druck nicht mehr Stand und rutschte unter höllischem Donnern ins Tal. So etwas kann in jeder Regenzeit passieren. Denn dann schüttet es mindestens einmal eine Woche lang ununterbrochen.

Das Problem sind die Dörfer am Hang des Vulkans. Sie wurden dort gebaut, weil in der Ebene kein Platz mehr für die Menschen war. Denn der fruchtbare vulkanische Boden des Flachlandes ist seit jahrzehnten der Baumwollproduktion vorbehalten. Die Menschen, die auf den Plantagen arbeiten, zogen sich auf den Vulkan zurück. Fast ausschließlich in solche Risikozonen an Flußufern oder steilen Hängen, dort, wo der Boden wertlos ist und niemand die Siedler vertreibt, forderte „Mitch“ seine Opfer.

In den nationalen Notstandskomitees kennt man diese gefährdeten Zonen. Sie sind auf Karten genau verzeichnet. Doch niemand hält es für nötig, die Gefährdeten zu warnen. Im Osten von El Salvador etwa wurde das Dorf Chilanguera von den Wassermassen des Rio Grande de San Miguel weggespült. Rund hundert Menschen ertranken. Innenminister Mario Acosta Oertel sagte mit Unschuldsmine: „Wir wurden davon völlig überrascht.“ Dabei speist sich der Rio Grande aus Zuflüssen im Grenzgebiet zu Honduras, wo es schon eine Woche zuvor geschüttet hatte. Irgendwann mußte dieses Wasser in Chilanguera ankommen.

Nach der Katastrophe freilich hat keiner Schuld – und alle möglichen Leute profitieren. In den evakuierten Zonen kam es zu Plünderungen. Die Preise für die Grundnahrungsmittel sind auf das Dreifache gestiegen. Und selbst für den am kommenden Wochenende in El Salvador beginnenden Präsidentschaftswahlkampf läßt sich das Elend der Leute ausschlachten. Am Abend nach der Überschwemmung in Chilanguera lief im Fernsehen ein Werbespot, in dem Francisco Flores, Präsidentschaftskandidat der regierenden rechten Arena-Partei, mit sanfter Stimme die Bevölkerung auffordert, Hilfsgüter für die Überlebenden in die Parteizentrale zu bringen. Hätte sein Parteifreund Acosta rechtzeitig gewarnt, wäre dieser Spot nicht möglich gewesen.

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