: "Es wäre gut, bei 47 Prozent zu landen"
■ Die Finanzexpertin der Grünen, Christine Scheel, fordert eine weitere Absenkung des Spitzensteuersatzes und wendet sich gegen die von SPD-Politikern geforderte Gewährung von Steuervergünstigungen fü
taz: Frau Scheel, die Liste der Maßnahmen zur Gegenfinanzierung der Steuerreform liegt vor. Besteht darüber Konsens zwischen den Koalitionspartnern?
Scheel: Wir hatten uns im Grundsatz über den Umfang der Streichungen verständigt. Dieses Volumen wurde eingehalten. Es gibt verschiedene Veränderungen. So mußten wir bei der Mindestbesteuerung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Rechnung tragen. Wir haben bei der Verrechnung der Einkommensarten eine Schranke eingebaut, so daß das Einkommen nicht mehr gegen null gerechnet werden kann. Bei den Bauern haben wir uns darauf verständigt, Betriebe bis zu einer Größe von 16 Hektar weiterhin pauschal zu veranlagen.
Damit werden die Landwirte weiterhin anders behandelt als vergleichbare Berufsgruppen.
Unter dem Gesichtspunkt der Steuergerechtigkeit ist das ein Problem.
Das ist doch eine Einladung an andere Lobbygruppen.
Landwirtschaftsminister Funke hat hier in einer sehr unguten Art und Weise interveniert. Allerdings muß man sagen, daß der Großteil der verabredeten Maßnahmen, zum Beispiel Abbau der Pauschalen, der Steuerfreibeträge, auch realisiert wird. Die Durchschnittssatzbesteuerung ist bei Kleinbauern eine durchaus sinnvolle Lösung. Bei der Vorsteuerpauschale in der Umsatzsteuer wird es einen stufenweisen Abbau geben.
Wolfgang Thierse hat sich an Funke ein Beispiel genommen. Er fordert jetzt bei der Ökosteuer eine Sonderregelung für ostdeutsche Unternehmen.
Eine Sonderregelung wird es nicht geben. Wir werden ostdeutsche Unternehmen nicht anders behandeln als andere Unternehmen. Es geht darum, kleine und mittelständische Unternehmen so zu behandeln, daß es nicht zu Betriebsaufgaben und inakzeptablen Härten kommt.
Bundeswirtschaftsminister Müller will Existenzgründer von der Steuer befreien.
Es wird auch für Existenzgründer möglich sein, daß sie ihre Verluste steuerlich im Verlustvortrag geltend machen. Auch Existenzgründer profitieren von der Absenkung der gewerblichen Steuersätze.
Trotzdem beklagen die Wirtschaftsverbände, daß die Unternehmen die Hauptlast der Steuerreform tragen müssen.
Es gibt Unternehmenssparten, bei denen nicht von einer leistungsgerechten Besteuerung gesprochen werden kann. So sind in der Versicherungs- und in der Atomwirtschaft Möglichkeiten zur Rückstellung gegeben, wie sie in keinem anderen Bereich existieren. Man hat Vergünstigungen angehäuft, von daher sollte man sich jetzt nicht beklagen, wenn in diesen Bereichen Einschränkungen vorgenommen werden.
Die Unternehmer können sich durch die Wirtschaftsforschungsinstitute bestätigt sehen. Die bezweifeln, daß es bei der geplanten Nettoentlastung zu Wachstumsimpulsen und Beschäftigungseffekten kommt.
Wir befinden uns in einer schwierigen Haushaltslage. Bei der Nettoneuverschuldung haben wir einen vefassungskonformen Spielraum von gerade mal 1,3 Milliarden Mark. In einer solchen Zeit Nettoentlastungen zu versprechen, ohne an anderer Stelle die Steuern zu erhöhen, ist unseriös. Deshalb haben wir eine dreistufige Steuerreform verabredet, die in der letzten Stufe eine Nettoentlastung von 10 Milliarden Mark vorsieht.
Wie lautet der Spitzensteuersatz, mit dem sie ein Signal an die Unternehmen geben wollen?
Wenn wir eine rechtsformunabhängige Besteuerung im Unternehmensbereich vornehmen, dann umfaßt das die Gewerblichen wie die Körperschaften. Hier peilen wir 35 Prozent an.
Ist das ist mit der SPD abgesprochen?
Das ist vereinbart für die Stufe drei der Steuerreform. Allerdings möchten wir diese Maßnahme auf das Jahr 2000 vorziehen, um ein Signal an das produzierende Gewerbe und an ausländische Unternehmen zu geben. Beim privaten Spitzensteuersatz liegen wir bei 48,5 Prozent. Wenn sich beim Abbau von Steuervergünstigungen ein Spielraum ergeben sollte, kann man den Tarif weiter absenken.
Wo endet das?
Wir haben 45 Prozent gefordert. Es wäre gut, wenn wir bei 47 Prozent landen würden.
Die von den Grünen geforderte Streichung der Kilometer- zugunsten einer Entfernungspauschale findet sich nicht in dem Paket.
War nicht drin, weil Lanfontaine dazu nicht bereit war. Wir haben aber vereinbart, daß die Umwandlung angestrebt wird, und die Grünen werden darauf drängen, daß das 1999 in Angriff genommen wird.
Wo wir schon beim Nachbessern sind: Die DAG fordert eine Streichung, zumindest Kappung des Ehegattensplittings.
Das Ehegattensplitting wird gekappt...
... aber auf hohem Niveau.
Das hat verfassungsrechtliche Gründe. Man hätte das Modell der Grünen nehmen können, wonach gegenseitig das Existenzminimum verrechnet wird. Wir haben uns leider gegen die SPD nicht durchgesetzt.
Gibt es noch Nachbesserungen?
Wir werden die Steuerfreiheit von Schmiergeldern, die im Ausland gezahlt werden, abschaffen. Das wird in die nächste Vorlage eingearbeitet. Interview: Dieter Rulff
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