: Digital ist immer besser
■ Peter Radunski stellt die Bilanz der öffentlichen Bibliotheken vor, ohne einzugestehen, daß diese generell an viel Substanz verloren haben
Hexen und Zauberer schwebten über den Köpfen von Bibliothekaren und Journalisten, die gestern in die Jerusalem-Jugendbibliothek im Wedding gekommen waren, um der „positiven Leistungsbilanz der Berliner öffentlichen Bibliotheken“ des Kultursenators Peter Radunski zu lauschen. Die Ankündigung des „Positiven“ klang überraschend, hat sich doch am Schwund der Etats und der Einsparung der Stellen wenig geändert. Seit 1993 sind die Mittel für Neuanschaffungen von elf auf sechs Millionen Mark heruntergeschraubt worden.
Diesen Verlust an Substanz konnte Radunski nicht wegzaubern. Aber er stellte ein neues Projekt der bezirklichen und Landesbibliotheken unter Federführung des Senats vor. Bis zum Jahr 2001 sollen 160 öffentliche Bibliotheken vernetzt werden. Für die Einführung stellt der Senat 24,5 Millionen Mark zur Verfügung.
Für die Bezirksbüchereien, denen oft um die 50.000 Mark fehlen, um den großen Lesehunger ihrer Klientel zu befriedigen, klingt diese Summe utopisch. Vorwürfe, daß der Senat sich für einen viel zu teuren Anbieter entschieden habe, wies Juliane Funke aus dem Bibliotheksreferat zurück. Bisher fürchten die Bezirke auch, die Folgekosten der Senatsinitiative alleine tragen zu müssen.
Radunski versuchte das Projekt als Ausgleich für eingesparte Erwerbungen schmackhaft zu machen: Fehlt mein Buch in Kreuzberg, dann verrät mir der Computer möglicherweise, daß es in Charlottenburg zu haben ist. Da legten die Bezirksbibliothekare ihre Stirnen in Sorgenfalten, wissen sie doch, daß nicht nur Kinder und Senioren den Schmökertreff fürs Wochenende um die Ecke brauchen. Einig waren sie dagegen mit dem Senator, daß Vernetzung und Multimedia-Arbeitsplätze unverzichtbar für das Bildungsziel „Medienkompetenz“ seien. Da ist Berlin ohnehin spät dran.
Heute endet eine Multimedia- Woche der Berliner Kinder- und Jugendbibliotheken, für die Sponsoren PCs und Programme stellten. Schon jetzt grausen sich die Leiter vor dem Jammer der Kinder, wenn die ganze Pracht wieder abgeholt wird. Der Glaube daran, daß die Public-private-Partnerschaft in die Lücken der Bezirkshaushalte springt, ist nicht sehr groß. Katrin Bettina Müller
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