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Schattenreich der Erinnerung

■ Die Ausstellung „Spurensuche“ in der Galerie Sfeir-Semler

Große Gedanken, Beziehungen und Porzelanteile haben eins gemeinsam: Es ist traurig, wenn sie zerbrechen. Doch es gibt eine Welt, in der gerade die Bruchstücke die Phantasie beflügeln: In der Archäologie erhöht die Unvollständigkeit das Interesse am Objekt. Anhand zerbrochener Gegenstände oder komplexer Ruinenplätze, mit einzelnen geheimnisvollen Wörtern oder unglaublichen Legenden werden Erinnerungssysteme aufgebaut, eine Technik, der sich seit den Siebzigern auch eine Reihe von Künstlerinnen und Künstlern bedient, die unter dem Begriff „Spurensicherung“ zusammengefaßt wird.

In der ersten Ausstellung mit diesem Titel hatte 1974 der heutige Kunsthallendirektor Uwe M. Schneede Künstler präsentiert, die sich der pseudowissenschaftlichen Kulturforschung widmen. Damals mit dabei waren Anne und Patrick Porier. Trotz ihres Ruhms sind sie erst jetzt mit einem raumfüllenden Sammlungsfundus wieder in Hamburg vertreten. Papierabdrücke antiker Statuen verweisen in der Galerie Sfeir-Semler auf die ausgedehnten archäologischen Reisen des Paares, weißes Limoges-Porzellan, von heute und doch zu Scherbenhaufen getürmt, holt die Geschichtskonstruktion in die Gegenwart. Darüber setzt eine Videoprojektion den alten Mythos von Orpheus und Euridice ins Bild, jene Parabel über die Unmöglichkeit, Vergangenes ins Leben zurückzuholen. Denn der Sänger bekam seine geliebte Frau nur unter der Bedingung aus der Unterwelt zurück, sie nicht anzusehen. Doch war sein inneres Bild zuerst so stark, daß er es wieder verlebendigt haben wollte – gegenüber der Realität war es zu schwach: Euridice verschwand erneut im Schattenreich der Erinnerung, dem einzigen Reich, aus dem keine Vertreibung möglich ist.

Hajo Schiff

Galerie Sfeir-Semler, Admiralitätstraße 71, bis 19. Dezember

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