: In Jerusalem detonierte gestern eine Autobombe. Verantwortlich ist wohl die palästinensische Hamas. Anlaß für das israelische Kabinett, das Abkommen von Wye auszusetzen. Der Friedensprozeß ist wieder einmal in der Sackgasse gelandet. Aus Jerusalem Georg Baltissen
Gesprengtes Abkommen
Ein angekohlter Leichnam liegt noch auf der Straße. Ein Polizeiarzt kommt herbei, zieht sich die Plastikhandschuhe über und deckt den Körper mit einer Plane ab. Leute laufen durcheinander, einige schreien. Eine vielleicht 35jährige Frau wälzt sich auf der Trage hin und her, Ambulanzen stoppen und transportieren die Verletzten ab – die meisten stehen unter Schock.
Der Polizeichef von Jerusalem, der den Einsatz persönlich leitet, erklärt, daß zwei Menschen getötet wurden – beide vermutlich die Attentäter. 21 Menschen seien verletzt worden, eine Person davon schwer. „Aber das sind vorläufige Angaben“, fügt er hinzu. Ultraorthodoxe Juden in gelben Hemden haben sich eingefunden. Sie suchen die Umgebung nach Leichenteilen ab. Ihr selbstauferlegter Auftrag ist es, alle Teile des Körpers zu bestatten.
Die Polizei versucht, die zahlreichen Schaulustigen hinter die Absperrung zu drängen. Die Feuerwehr hat den völlig ausgebrannten Wagen des Attentäters inzwischen gelöscht. Einige Fernsehteams haben auf den Balkonen und Dächern der umliegenden Häuser Position bezogen.
Ein alter Mann berichtet den Reportern, was er gesehen und gehört hat. „Das Auto fuhr relativ schnell die Jaffastraße entlang. Dann stoppte es am Eingang zum Mehane-Jehuda-Markt. Und schon machte es bum und kurz darauf noch mal bum, und der Wagen brannte.“ Einige Passanten hatten offensichtlich bereits Verdacht geschöpft, als der Wagen an der Ecke mit der Bushaltestelle anhielt. Es könnte diesem Umstand zu verdanken sein, daß wahrscheinlich niemand außer den beiden Attentätern getötet wurde – der Markt war wie jeden Freitag dicht bevölkert, weil viele Menschen noch ihre Einkäufe vor Beginn des Schabbats erledigen wollten.
Schon im Juli vergangenen Jahres war der Mahane-Jehuda-Markt Ort eines Selbstmordanschlags der islamischen Hamas-Organisation. Damals sprengten sich zwei Selbstmörder in die Luft und rissen sechzehn Israelis mit in den Tod. Im Vergleich dazu sind die Verheerungen diesmal gering. Ein Gemüsestand ist angebrannt, ein paar Dächer sind zerborsten, Holzbalken ragen in die Luft. Mitten auf der Jaffastraße liegt noch ein rotes Wrackteil vom Auto des Attentäters.
Der Markt ist für einen Autobombenanschlag ein relativ „weiches“ Ziel. Die Jaffastraße ist eine der zentralen Verkehrsadern West-Jerusalems. Bei täglich Tausenden von Autos würden Polizeikontrollen auf dieser Straße einen Verkehrsinfarkt auslösen.
Auf dem Markt sucht die Polizei nach weiteren Bomben. Doch es werden keine gefunden. Die Stimmung ist in Empörung umgeschlagen. Ein junger Israeli mit der schwarzen Kippa der Nationalreligiösen ruft: „Tod den Arabern!“ Ein Polizist will ihn ergreifen, doch der Junge taucht in der Menge unter, die nun ihrerseits den Polizisten beschimpft. Kurz darauf marschiert eine ganze Gruppe von Jugendlichen über den Markt und schreit „Tod den Arabern!“ und „Netanjahu ist ein Verräter!“ Die Polizei versucht die aufgebrachte Menge zu beruhigen und die Jugendlichen zu vertreiben.
Der Markt wird allmählich leerer. Einige Stände haben schon geschlossen. Vor noch geöffneten Läden stehen Leute und diskutieren. Einer sagt: „Wir können den Terroristen doch nicht unser Land geben. Man sieht doch hier, was dann geschieht.“ Die meisten pflichten ihm bei. Gegenteilige Meinungen will zu diesem Zeitpunkt niemand öffentlich äußern.
Im Fernsehen gibt Israels Regierungssprecher Mosche Fogl die „Meinung des Volkes“ wieder: „Das war ein gezielter Terrorakt“, sagt er, „gerade zu dem Zeitpunkt, an dem die Regierung über das Wye-Abkommen beriet.“ Und dann kündigt er politische Konsequenzen an: „Keine Regierung der Welt kann mit einem Friedensprozeß fortfahren, während die Bürger des Landes auf den Straßen abgeschlachtet werden.“
Knapp zwei Stunden nach dem Anschlag erklärt ein anonymer Anrufer gegenüber der israelischen Polizei, der militärische Fügel der islamischen Organisation Hamas sei für das Attentat verantwortlich. Auch wenn noch Zweifel an der Echtheit des Bekenneranrufes bestehen, deutet in der Tat vieles auf Hamas. Schon während der israelisch-palästinensischen Verhandlungen in den USA Ende vergangenen Monats hatte ein Hamas-Attentäter zwei Handgranaten auf dem Busbahnhof der südisraelischen Stadt Beerscheba gezündet. Zahlreiche Menschen wurden verletzt. Und letzte Woche hatte ein Attentäter versucht, sein mit Sprengstoff beladenes Auto gegen einen israelischen Schulbus im Gaza-Streifen zu rammen. Ein Militärjeep konnte ihn abdrängen, der Attentäter und ein Soldat starben bei der Explosion.
Polizeichef Yair aber ist vorsichtig: „Wir müssen erst die Untersuchung abwarten. Ob hier nur Sprengstoff transportiert werden sollte, der vorzeitig explodierte, oder ob es sich um eine gezielte Tat handelt, werden wir erst danach wissen.“ Israels Politiker werden die Untersuchung gewiß nicht abwarten.
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