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„Was wichtig ist“

Wahl-Hamburgerin Etta Scollo will keinen Erfolg „auf Kosten von Leben“: Ein Portrait von  ■ Stefan Siegert

Die karierte Wollhose trägt sie vermutlich, weil es in Hamburg doch schon recht kalt ist. Etta Scollo ist freilich an warme, elegante Kleidung gewöhnt. Die kleine, dabei sehr stabil wirkende Sängerin aus Italien, die heute abend im „Schmidt's“ zeigen wird, von welch' sonderbarer Art ihre schönen Lieder sind, lebt zur kleineren Hälfte in Hamburg, zur größeren in Wien. Einen Freund – sie wohnt mit ihm im Schanzenviertel – hat sie nur an der Elbe, eine eigene Band in beiden Städten.

Immerhin ist ihr der Norden schon so in Herz und Nieren übergegangen, daß sie seit langem Teetrinkerin ist. Kein Espresso mehr? „Nur in Italien, da gibt's nichts anderes. Aber wenn Sie in Catania Espresso bestellen, ernten Sie verständnislose Blicke. In Sizilien gibt es zwar nur Espresso. Aber er heißt dort Café.“

Schon früh ging Etta Scollo aus Sizilien fort. „Wir Insulaner sind so. Ewig das Meer vor Augen, das gibt Fernweh.“ In Wien studierte sie Gesang und Jazzdance. Nach ersten Erfolgen als Jazz- und Bluessängerin (Arbeit mit Memphis Slim, Champion Jack Dupree) kam die große Pop-Karriere: Plattenvertrag bei EMI, goldene Schallplatten und TV-Auftritte von “Harald-Juhnke-Show“ bis „Wetten das“.

Etta Scollos schwarze Augen schauen melancholisch in den Novemberhimmel über dem Heiligengeistfeld. „Ich mußte das Band einfach zurückspulen“, kommentiert sie ihre Flucht aus dem großen Geschäft. „Natürlich habe ich gern Erfolg. Der Beruf ist mir wahnsinnig wichtig. Aber nicht auf Kosten von Leben.“ Sie reist gern, war gerade drei Tage allein im Tessin, trifft gern Menschen. „Ich brauche Zeit für mich, brauche die Freiheit, verschwinden zu können, wann immer ich möchte“. In der Pop-Branche sei alles kurzlebig, schnell, oberflächlich gewesen: „Zwei Stunden Autogramme schreiben – für Menschen, die ich doch gar nicht näher kannte.“

Auch auf der Bühne sucht Etta Scollo Nähe und Intimität. Ihre Songs – „Ich schreibe am liebsten Songs, es gibt heute in der Pop-Musik so wenig Melodien“ – handeln davon, „was wichtig ist“. – Was ist wichtig? „Daß die Momente wirklich Gewicht haben, daß man den Mut findet, sich ab und an zu fragen: Was ist jetzt, wie fühle ich mich in dem Leben, wer bin ich, und was will ich damit machen?“ Man muß sich entscheiden können, findet sie: “Auch Flucht ist eine Entscheidung.“

Auf dem kleinen Ghetto-Blaster in der Küche hören wir ihre Coverversion von Lucio Dallas' Song „Caruso“. Sie singt ihn mit dem London Session Orchestra – mit deutlich sparsamem Timbre. „Ich bin mehr für gerade Stimmen. Wenn man bei melancholischen Songs übertreibt, wird das leicht ein bißchen lächerlich. Melancholie ist was Stilles, Innerliches. Bei Konzerten bewege ich mich zwischen dieser Stimmung und etwas anderem, das Kraft bedeutet und Feuer. Beides ist wichtig in der Musik.“

Besonders in ihrer Musik. Sie scheint sich wohlzufühlen darin.

heute 20 Uhr, ausverkauft

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