: Der Aristokrat des Cool-Jazz
■ Lee Konitz spielte mit seinem Quartet im KITO
Kann solch eine junge, dreckige Kunst wie der Jazz schon eine Aristokratie haben? Die Bandleader der 30er und 40er Jahre, die sich Earl, Count oder King nannten, bewiesen durch diese proletarische Keckheit im Grunde das Gegenteil, und heute sind die Young Lions wie Wynton Marsalis so angestrengt um ihren vornehmen Stil und Ton bemüht, daß man sie leicht als Parvenüs erkennt. Aber am Freitag abend konnte man im Vegesacker KITO ein Mitglied echten Jazz-Adels erleben. Und dies nicht etwa, weil Lee Konitz längst als der legendäre Stilbildner des Cool Jazz gilt, jener introvertierten Spielweise, die in den fünfziger Jahren dem Bebop folgte. Der Altsaxophonist wirkt einfach wie ein schon etwas älterer, eleganter und dem weltlichen Treiben entrückter Baron. So hätte sich Filmregisseur Visconti einen Jazzmusiker erträumt, und sein intimes, lyrisches Spiel würde die Ohren des italienischen Feingeistes nicht beleidigt haben.
Beinahe wäre das Konzert einen Tick zu feinsinnig gewesen. Denn Konitz spielte mit dem Pianisten Frank Wunsch und Gunnar Plümer so makellos und relaxt swingend, daß man von so viel Wohlklang fast eingelullt wurde. Es wäre beinahe zuviel des Guten gewesen, wenn sich Lee Konitz mit dem britischen Flügelhornspieler Kenny Wheeler nicht einen sowohl optischen wie auch akustischen Kontrapunkt in die Band geholt hätte. Dieser sah aus wie ein mauliger britischer Postbeamter mit schwartiger Weste, hängendem Schnurrbart und einem eher robusten Körperbau. Einen größeren Kontrast zum feingliedrigen Konitz hätte man kaum finden können. Wheeler ist für seinen kühlen, lyrischen Ton bekannt (er war lange einer von den ewigen Adagiospielern des Plattenlabels ECM), aber im Kontext dieser Band wirkte er wie ein grober Störenfried. Seine Ansätze waren längst nicht so sauber wie die der anderen Musiker. Man bemerkte zwar durchaus eine Seelenverwandtschaft , aber Wheeler war dabei eindeutig der erdigere Pol. Durch ihn wurde das Konzert spannend – man konnte es sich nicht zu sehr auf dem kunstvoll gewebten Klangteppich bequem machen, denn Wheeler schüttelte ihn immer mal wieder ordentlich aus.
Aber im Ohr blieb letztlich doch der schwebende, unspektakuläre und gerade deshalb so intensive Ton von Konitz. Er braucht schon längst nichts mehr auf der Bühne beweisen, und so spielte er souverän, von Baß und Piano getragen, wonach ihm gerade der Sinn stand. Die Freiheit der Improvisation und eine fast schon dekadente Kultiviertheit trafen in seiner Musik aufeinander: Es war hochadeliger Cool Jazz. Wilfried Hippen
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