Zeit der Reife, Zeit der Zärtlichkeit

The never ending Achtziger: Lionel Ritchie, der Richard Clayderman des Soul, animierte im ICC seine alt gewordene Hörerschaft zum Kuscheln und Erinnern. Die Ausflipp-Einlage am Schlagzeug lieferte Sheila E.  ■ Von Daniel Bax

Ein Andrang wie bei einer Automobilmesse. Am Eingang bekam jeder Besucher eine blaue Plastiktüte überreicht, darin ein Kugelschreiber plus Hitliste zum Ankreuzen. Und den Hinweis, nach dem Konzert würde die Lionel-Ritchie-Nacht im Radio fortgesetzt.

Wenn ein Berliner Radiosender, der sich mit dem Abspulen von „Mega-Hits aus drei Jahrzehnten“ rühmt, ein Konzert präsentiert, dann paßt Lionel Ritchie natürlich prima ins Profil. Denn kaum ein anderer weist eine vergleichbare musikalische Kontinuität vor wie der Richard Clayderman des Soul. Anders gesagt: Durch drei Jahrzehnte hindurch unverändert gleich zu klingen, und damit noch immer Anklang zu finden, ist auch ein Kunststück. Lionel Ritchie aber hat sein Publikum nie übersättigt – vier Alben in zwanzig Jahren verraten Faulheit als Lebensmaxime. Und ein gutes Gespür für den Gebrauchswert seiner Musik. Mit einem Lionel-Ritchie-Album konnte man schließlich nie etwas falsch machen: Ein paar Tanzflächenfüller, ein paar Schmusesongs, und fertig war die unvergeßliche Schulparty.

Wieviele Partnerschaften und gar Ehen zu „Hello“ oder „Three times a lady“ einmal besiegelt wurden, davon zeugte am Freitag ein beinahe ausverkauftes ICC. Erstaunlich gesetzt das Publikum, in biederer Abendgarderobe und von keiner Hipness angeschlagen, aber doch bei jeder Geste des Stars bereit, augenblicklich außer sich zu geraten und auch artig zu tanzen, wenn der zum „Dancing on the ceiling“ aufforderte. Allzu glühende Verehrung in Form von Wunderkerzen entsorgte der Saalschutz jedoch dezent, aber resolut – Brandgefahr! Der Rest war Kuscheln und Erinnern.

„Time for the greatest Lovesongs“ sollte man mitbringen. „Time“ heißt zufällig auch Lionel Ritchies aktuelles, wenig spektakuläres Album, und den unruhigen Blick auf die Uhr baute er zum Running Gag seiner Show aus. Immer wieder ließ er verlauten, wie „unbelievable“ die Gäste im Saal doch wären, und daß er eigens ihretwegen seine Zeit überziehe. Abgebrühtes Entertainment, aber gerade in der Perfektion aus Las- Vegas-Unterhaltung und gestellter Fernsehinszenierung gut.

Zum Beispiel in der optimalen Raumausnutzung: Auf den seitlichen Videoleinwänden auch aus der Ferne gut zu verfolgen, kasperte ein drahtiger Lionel Ritchie im wehenden, schwarz schimmernden Seidenanzug kreuz und quer über die Bühne, die im Licht diverser Rottöne, von Lila über Magenta bis Zartrosa glänzte. Seine Bandmusiker wirkten dabei größtenteils als gesichtslose Manövriermasse, die auf der automatischen Bühne großzügig hin- und hergeschoben wurde wie Figuren auf einem Weihnachtskarussell. Auch das Klavier schien ständig in Bewegung, fuhr wie von Geisterhand gezogen nervös nach links und nach rechts, erstaunlicherweise aber dem Sänger nie gegen das Bein.

Ein ausgiebiges Solo bekam einzig die Schlagzeugerin gewährt. Ähnlich der bekannten Deinhardt- Sektreklame drosch da eine aufgedrehte Frau im eleganten Business-Anzug auf ihr Instrument ein, wie ein Echo aus vergangenen Zeiten dabei ihren Namen laut ausrufend: „Sheila E., Sheila E.“ . Nach dieser Ausflipp-Einlage nahm sie ihr männlicher Kollege auf die Arme und trug das zappelnde Bündel weg. Eine nette Überraschung, die aber unfreiwillig daran erinnerte, daß auch Lionel Ritchie seine besten Tage längst hinter sich hat.