piwik no script img

Ich denke kriminell, um Kriminelle zu verstehen

Ahmad Mohammed ist der schillerndste Sicherheitsunternehmer Berlins. Der gebürtige Libanese arbeitet sich vom Gemüsehändler zum Türsteher am glamourösen Kurfürstendamm hinauf und hat dabei reichlich Probleme mit der Polizei. Doch er räumt unter den Jugendlichen am Ku'damm auf, selbst die Polizei erkennt an, daß die Straftaten zurückgehen. Mohammed wird Beschützer von Promis und führt heute ein bei der Hauptstadt-Schickeria beliebtes Unternehmen. Ein Porträt  ■  von Holger Stark

Falke 1“, knistert eine hektische Stimme aus dem Funkgerät, „Falke 1, Ärger im Klo in der Kneipe!“ Ahmad Mohammed, Codename Falke 1, hastet ins Erdgeschoß des Europa-Centers, rein in die Gaststätte. „Auf dem WC schlägt jemand seine Frau“, sagt die Bedienung nervös. Mohammed öffnet die Tür zur Toilette, hört Schreie. Dann sieht er ein Pärchen. Der Mann redet wie besessen auf die Frau ein. Mohammed mischt sich ein, versucht zu beruhigen und zu vermitteln. Plötzlich zieht der Typ eine Knarre, Modell Walter P6. Mohammed springt reflexartig zurück, schließt die Tür und setzt einen Notruf über Funk ab. Nach wenigen Augenblicken sind weitere Sicherheitsbedienstete vor Ort und schirmen das Lokal ab. In dem Moment öffnet sich die Tür, heraus kommt der Mann mit gezogener Waffe und brüllt: „Wo ist das Arschloch?“ Mit hektischen Blicken sucht er Mohammed und verliert dabei für einen Moment die Orientierung. Ahmad Mohammed und seine Leute nutzen die Gelegenheit und entwaffnen ihn.

Als die Polizei eintrifft, stellen sich zwei Dinge heraus: Erstens, daß die Waffe echt und geladen war. Zweitens, daß „der Waffenträger Polizist war“. So jedenfalls will es die Legende, die Mohammed erzählt. Das war 1993 – Höhepunkt eines Konfliktes zwischen Ahmad Mohammed, dem Chef des Ku'damm-Security-Dienstes, und der Berliner Polizei. Nach dem Zwischenfall im Europa-Center habe ihn die Polizei grundlos und permanent schikaniert, behauptet Mohammed. Die Polizei wiederum rechnet ihn Anfang der neunziger Jahre dem „Milieubereich Organisierte Kriminalität“ zu.

Die Geschichte des Ahmad Mohammed ist typisch für Berlin. Eine Glanz-und-Glamour-Story, in der ein schlagkräftiger Jugendlicher aus dem Libanon in das Berliner Nachtleben eintaucht und sich über allerlei Jobs nach oben arbeitet. Vom Gemüsehändler zum Türsteher und dann zum Sicherheitschef auf Westberlins Prachtboulevard Kurfürstendamm, der in den achtziger Jahren eine Mischung aus Rotlichtmilieu, Neureichen und Bürgertum ist. Ein Newcomer, der von der Berliner Boulevardpresse gehätschelt und von den Sicherheitsbehörden verfolgt wird, der bald stadtbekannt ist und schließlich zum Bodyguard von Prominenten wie Claudia Schiffer und Steffi Graf aufsteigt. In den USA wäre es die Story vom Tellerwäscher zum Millionär. In Berlin ist es die Geschichte eines ausländischen Problemjugendlichen, der zur schillernden, umstrittenen Prominenz wird. Sie beginnt im Schatten der Mauer, in den Kiezen des alten, provinziellen West-Berlin, und sie findet ihre Fortsetzung im neuen Berlin, das Weltstadt sein will und neue Helden sucht.

Mohammed wird im Jahr 1964 in Beirut geboren. Mal wird sein Geburtsdatum mit 00.00.1964 angegeben, mal mit dem 10.6. In den Kriegswirren des Nahen Osten ist das exakte Datum verlorengegangen. Ahmad hat neun Geschwister. Der Vater stirbt durch eine Mörsergranate, er selbst wird durch einen Splitter verletzt. In Beirut schickt man ihn auf ein Kampfinternat. Statt Mathematik zu lernen, üben die Kinder am Maschinengewehr. 1976 flieht die Mutter mit den Kindern über Damaskus nach Berlin.

Erst landen die Beiruter Flüchtlinge in Tempelhof, dann beim Roten Kreuz am Bahnhof Zoo. Die erste Unterkunft, die den Namen Wohnung verdient, findet die Familie in Schöneberg, im Erdgeschoß eines Altbaus. Gelegentlich machen die Jungs aus der Nachbarschaft Scherze über Mutter Mohammed. Doch sie lernen schnell: Ahmad treibt ihnen den Spaß mit den Fäusten aus. „Ich war aggressiv, vom Krieg im Kopf demoliert“, erinnert er sich. „Ich wollte uns Respekt verschaffen.“ Als Zwölfjähriger kommt er in die sechste Klasse einer Schöneberger Schule. Zu der Zeit jobbt er in einem Gemüseladen in der Akazienstraße. Die Schule langweilt ihn bald. In Wahrheit hängt er im Kiez herum und trifft sich mit Freunden. Einer nimmt ihn mit in ein Kampfsportcenter. Da lernt Ahmad, wie man sich richtig und vor allem erfolgreich schlägt. Später wird er das perfektionieren, erst im Taek- won-do, dann im Kickboxen, wo er heute Träger des 3. Dan ist, vergleichbar etwa mit dem Prof. Dr. Dr. an einer Universität. Weil er nie zur Schule geht, wird er gegangen. Die einzige Schule, die er abschließt, ist die Kampfsportschule.

Obst, Gemüse und Kickboxen füllen das Leben eines Teenagers kaum aus. Ahmad beginnt abends wegzugehen, am Wochenende „die Welt zu erobern“. Die erste Disco, die er mit Freunden besucht, ist das „Yesterday“. Ein Bekannter stellt ihn der Disco-Größe Pontikas vor, Besitzer unter anderem des „Flashdance“. Pontikas sucht gerade einen neuen Türsteher. Nach einem Probetraining hat Ahmad den Job. „Türsteher war damals in Berlin ein Symbol“, sagt er voller Stolz. „Da war man wer.“ Und es war der Beginn seiner „Karriere auf der Straße“. Später wird die Polizei intern notieren, Mohammed sei ein „Vasall“ von Pontikas. Doch damals öffnet der Einstieg in das Nachtleben dem jungen Schöneberger die Tür zu neuen Leuten und einem anderen Leben.

1989 kommt Pontikas zu ihm: „Ahmad, das Ku'damm-Karree hat Schwierigkeiten. Die Jugendlichen pöbeln die Leute an.“ Mohammed sorgt dafür, daß die Jugendlichen sich „verpissen“. In einigen Medien wird es später heißen, Mohammed spreche die Sprache der Straße. Vor allem aber ist er erfolgreich. Das empfiehlt ihn für höhere Jobs. Pontikas vermittelt ihn an das Europa-Center, das seit Jahren Probleme mit Jugendlichen hat, die nach Ansicht der Betreiber die „normalen“ Kunden stören. Das Europa-Center wird Mohammeds Durchbruch. Er gründet ein eigenes Unternehmen, das erst Sicherheitsdienst MD, später CM-Sicherheitsdienst heißt und in dem sein Bruder Badr vorerst der Lizenznehmer ist. Aus Sicht der Polizei hingegen wird „Falke 1“ endgültig zum Problem.

Verschiedentlich schon hatten die Beamten Mohammed im Visier. Bei einer Wohnungsdurchsuchung hatten sie nach Waffen gefahndet, allerdings nichts gefunden. Nachdem die Polizei auf Mohammeds neue Firma aufmerksam geworden ist, startet sie eine „gezielte personengruppenbezogene Auswertung“, wie es im Amtsdeutsch heißt. Danach beurteilt sie Mohammed als „Rohheitstäter“, der durch gefährliche Körperverletzung, Nötigung und Erpressung aufgefallen sei. In einem nachrichtlichen Vermerk vom 16.1.1992 stellt die zuständige City-Direktion 3 fest: „Herr Ahmad Mohamed stellt seit Jahren für die Polizei in der Direktion 3 (City) ein Problem dar! Er ist als skrupelloser Schläger, „Rausschmeißer“ in Discotheken bekannt!“ Schließlich findet im Oktober 1992 eigens eine Besprechung bei der Landespolizeidirektion statt. Thema: der Sicherheitsdienst MD und Ahmad Mohammed.

Die Behörden müssen zugeben, daß mit Beginn der Arbeit des Sicherheitsdienstes die Zahl der Straftaten deutlich zurückgegangen ist. Zudem liegt nichts Konkretes gegen Mohammed vor. Mehrere Male kontrollieren ihn willkürlich Streifenbeamte. „Von zehn Polizisten würden vermutlich neun sagen, das ist ein Krimineller“, schätzt Mohammed heute. „Man hat mir bestimmte Dinge unterstellt. Das war ein Krieg: Ahmad gegen die Polizei, die Polizei gegen Ahmad. Seitdem habe ich einen Haß.“ Wenn Mohammed das sagt, blitzen seine Augen auf, und die Stimme vibriert.

Seinen kometenhaften Aufstieg kann auch die Westberliner Polizei nicht stoppen. Im Sommer 1993 engagiert ihn die AG City, die Vereinigung der Ku'damm-Kaufleute, um den Kurfürstendamm von Bettlern und Ladendieben zu säubern. Die Maßnahme ist in den Medien umstritten. Trotzdem läuft Mohammed fortan mit seiner Security-Firma Streife, scheucht Obdachlose auf, verunsichert Punks und übergibt Ladendiebe der Polizei. Doch die AG City ist zufrieden, das subjektive Sicherheitsgefühl habe zugenommen. Ein Auftraggeber reicht ihn an den nächsten weiter. Ahmad Mohammed lernt nach und nach die Großen vom Kurfürstendamm kennen: Peter Hosemann, den Betreiber des Casinos im Europa-Center, den Juwelier und Millionär David Goldberg oder die Pepper-Familie, langjährige Eigentümer des Europa-Centers.

Vorsichtig baut Mohammed eine Art Freundschaft zu zwei City-Cops auf, die ebenfalls auf dem Kurfürstendamm arbeiten. Die beiden bringen ihm bei, wie die Justiz funktioniert, warum manche Gesetze erlassen wurden und andere nicht. „Früher“, sagt Mohammed, „war mir das Gesetz scheißegal. Ab da nicht mehr. Es war das erste Mal, daß mich jemand von der Straße weggebracht hat.“ Zugleich entwickelt das Kraftpaket, der Mann mit dem schwarzen Gürtel, einen erstaunlich professionellen Umgang mit den Medien. Vor allem die Boulevard-Blätter weiß er geschickt zu nutzen. Die B.Z. bringt große Jubel-Stories. Mohammed wird bundesweit in TV- Talkshows eingeladen. Zu der Zeit ist er die südländische Variante des Vokuhila-Oliba-Typs: die Frisur vorne kurz, hinten lang, Oberlippenbart, die Haare pechschwarz. Mit seinen rund 110 Kilo und einem Oberkörper, auf den Sylvester Stallone neidisch wäre, ist der 1,90 Meter große Hühne eine imposante Gestalt, die sich gut vor der Kamera macht. Außerdem spricht er so, wie er aufgewachsen ist: ohne Hemmungen, mit street credibility, einer speziellen Art von Humor und einem großen Reservoir an Geschichten über heikle Situationen auf der Straße. Ahmad Mohammed ist kein Schlips-und- Kragen-Typ, der als Geschäftsführer ein Busineß-Unternehmen leitet. Ahmad Mohammed ist ein Mann der Praxis.

Und darin ist er aus Sicht seiner Auftraggeber verdammt gut. Das spricht sich herum. Im Juli 1994 meldet sich eine Auftraggeberin, die ihm „viel, viel Glück gebracht hat“: Claudia Schiffer. Das Top- Model ist in Berlin und braucht einen Bodyguard. Ahmad sagt zu. Drei Jahre lang beschützt Ahmad Mohammed die Schiffer, wann immer sie ihn ruft. „Für Achmed, vielen Dank für alles“, hat sie auf ein Foto gekritzelt, das in seinem Büro hängt. Nach Schiffer kommen David Copperfield, Franziska van Almsick, Steffi Graf, Madonna, John Travolta und Henry Maske. Mit der deutschen Fußball-Nationalmannschaft fährt er zur Europameisterschaft 1996 nach England. In seinem Notizbuch stehen die Telefonnummern von Thomas Helmer, Fredi Bobic und Ronaldo. „Der hat mich sogar mal nach Mailand eingeladen“, sagt Mohammed, halb Spaß, halb Ernst. Steffi Graf attestierte ihm, „ich hätte mich nicht besser (sicherer) fühlen können. Liebe Grüße, Steffi.“

In der Branche gilt Mohammed als schlechter Schütze, aber hervorragender Personenschützer. „Ich weiß besser als Normale, wie ein Krimineller vorgeht“, sagt er. „Ich denke kriminell, um Kriminelle zu verstehen!“ Zwischen fünfhundert und tausend Mark kostet er am Tag, ein vergleichsweise niedriger Preis. Zehn Leute sind bei ihm festangestellt. Wenn ein Promi ruft, steht er unbewaffnet in vorderster Front, hinter ihm sind zwischen vier und sechs bewaffnete Kollegen. Für seine Klienten gibt er alles. „Die Leute lieben mich“, sagt er. „Für meine Auftraggeber gebe ich mein Blut, wenn es sein muß.“

Die Polizei läßt ihn mittlerweile in Ruhe, für die Öffentlichkeit wird er selbst zum Prominenten. Seit 1996 besitzt er die deutsche Staatsangehörigkeit, für ihn ein wichtiger Fortschritt, weil in Polizeikreisen immer wieder sein Ausländerstatus als Druckmittel benutzt wurde. Mit dem Erfolg kommt die Milde. „Da gab es eine Menge Mißverständnisse zwischen mir und der Polizei“, sagt er. „Heute läuft alles reibungslos.“ Ahmad Mohammed hat sich durchgesetzt. Auf seine ganz spezielle Art, eine Mischung aus Charme und Muskeln, die er beide als Waffe einzusetzen weiß. Ob Abendanzug oder Trainingsanzug – in beiden macht er eine gute Figur.

Ahmad Mohammed ist jetzt Mitte Dreißig. In den erfolgreichen Filmen aus Hollywood ist Clint Eastwood auch mit sechzig noch Mr. President's Bodyguard. Mohammed weiß, daß das nur im Film so ist. Derzeit versucht er, stärker als Berater zu agieren, seine Firma zu führen und seine Leute zu Aufträgen zu schicken. Neben dem Sicherheitsdienst hat er noch eine zweite Firma für Personenschutz gegründet. Schade bloß, daß die Anrufer immer ihn wollen, den Medienstar, den charmanten Kickboxer und Gentleman und nicht einen seiner kurzhaarigen, tapsigen Nachwuchsjungs, denen das Straßenleben noch ins Gesicht geschrieben steht. Vor einiger Zeit lag er drei Wochen im Krankenhaus. Zuviel Streß, hatten die Ärzte diagnostiziert.

Eigentlich wollte er ja in die USA auswandern. Er, der große starke Mann, dessen Händedruck so gewaltig wie sein Oberkörper ist. Der nie eine Schule abgeschlossen, lange keinen richtigen Urlaub gemacht hat. Mohammed sagt trotzig: „Amerika ist mein Leben. Wenn die Amerikaner einen mögen, dann auch richtig. Ich träume von einer Green Card, und dann ziehe ich mit Erstwohnsitz nach Miami.“ Dann blickt er aus dem Fenster und hält einen Moment inne. Sein Büro liegt nicht am Kurfürstendamm, sondern in einer unauffälligen Steglitzer Seitenstraße, in der alte Herren ihre Hunde Gassi führen. Die Räume haben den Charme eines neonbeleuchteten Provisoriums, und sein Zimmer ist kaum größer als eine Abstellkammer. Es ist eben eine Geschichte aus Berlin – und nicht aus New York.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen