Press-Schlag: Mitnichten wie Boris
■ Steffi Graf gewinnt in Leipzig und will wieder weltbeste Tennisspielerin werden
„Wie Boris möchte ich nicht aufhören“, verriet Steffi Graf resolut der Welt am Sonntag, bevor sie gestern durch ein 6:3, 6:4 gegen die Französin Nathalie Tauziat zum fünften Mal das Tennisturnier von Leipzig gewann. Ist ja auch schwer vorstellbar: Die 29jährige, wie sie inmitten einer VIP-Kolonie auf der Tribüne eines Fußballstadions sitzt und mild lächelnd Hof hält? Wie sie hier ein bißchen in der Verbandspolitik herumstümpert, dort ein wenig am Welttennis herumzureformieren sucht. Wie sie ein beschauliches Familienleben führt, dann und wann das FedCup-Team betreut, ansonsten den lieben Gott einen guten Mann sein läßt, um plötzlich unvermittelt den Schläger zu schnappen und auf Hingis oder Williams loszuhauen? Wie sie dabei an guten Tagen gewinnt, an schlechteren fürchterlich einen drüberbekommt, sich aber gar nichts daraus macht? Nein danke! Das ist nichts für eine Steffi Graf.
„Tennis ist mein Leben“, verkündet sie kategorisch, was man ohnehin vermutete, und schließt die Zumutung eines Teilzeitlebens rigoros aus: „Ich fühle mich fit und will im kommenden Jahr richtig angreifen.“ Kein Gedanke an die körperlichen Malaisen, die sie in den letzten Jahren immer wieder zurückwarfen, wenn sie gerade den Anschluß geschafft hatte. Jene diversen Zipperlein, die ihren Körper unaufhörlich plagten und manches Match zur physischen Qual werden ließen, bis sie schließlich nicht mehr ignoriert werden konnten und die nächste Operation auf dem Programm stand – zuletzt am Handgelenk der Schlaghand. „Ich werde nach Absprache mit meinen Ärzten auch weiterhin selbst entscheiden, wieviel ich in Kauf nehmen kann und wieviel nicht“, weist sie wohlmeinende Ratgeber in die Schranken, von einem Karriereende könne jedenfalls absolut keine Rede sein. „Ich brauche die fabelhaften Emotionen, die mir das Tennis gibt“, ist sich Steffi Graf sicherer denn je.
Was sie von einem Comeback zum nächsten treibt, obwohl ihr häufig nahegelegt wird, doch lieber Schluß zu machen mit der ewigen Tortur, ist offensichtlich. Wie zuvor Martina Navratilova, Jimmy Connors und andere sieht sie keine Alternative zum Profitennis, die ihr ähnliche Befriedigung verschaffen könnte, und gar zu gern würde sie den dahergelaufenen jungen Großmäulern à la Hingis, Kournikowa oder Venus Williams noch einmal zeigen, wer die wahre Meisterin ist. Navratilova brauchte einige Jahre, bis sie einsah, daß sie in der Weltrangliste nie mehr an Steffi Graf vorbeikommen würde, bei der Deutschen, welche diese Position 377 Wochen bekleidete, ist die Sache noch längst nicht entschieden.
„Ich bin eine Kämpferin“, sagt Graf, was sie in Leipzig, wo sie zum ersten Mal seit 13 Jahren bei einem Turnier nicht gesetzt war, unter Beweis stellte. „Ich bewege mich gut, ich schaffe es, das Spiel zu drehen, und ich bin viel weiter, als ich dachte“, sagte sie schon nach dem Einzug ins Halbfinale und freute sich: „Ich habe eine solche Vorstellung nicht erwartet.“ Im Endspiel ließ das nächste Mißgeschick nicht auf sich warten – sie mußte eine leichte Fußverletzung behandeln lassen – dennoch konnte ihr Wimbledonfinalistin Nathalie Tauziat den 862. Sieg in 977 Profimatches und den 105. Turniergewinn nicht streitig machen.
Die Französin steht auf Rang neun der Weltrangliste, eine absolute Top-Kontrahentin blieb Graf in Leipzig allerdings erspart. Gegen jene kann sie ihre Form schon diese Woche in Philadelphia testen, wo es darum geht, sich mit der Halbfinal- Teilnahme doch noch für das Masters-Turnier der besten 16 Profis vom 17. bis 22. November in New York zu qualifizieren. Auf Rang 17 hat sie sich durch ihren Leipziger Auftritt bereits vorgepirscht.
Die Nummer eins wurde Steffi Graf vergangene Woche in einer anderen Kategorie: als sie die 20.344.061 Dollar übertraf, die Martina Navratilova an Preisgeldern gewonnen hatte. Damit ist sie die bestverdienendste Sportlerin aller Zeiten. „Solche Rekorde sind mir nicht extrem wichtig“, erklärt sie, und man möchte ihr fast glauben. Schließlich und endlich bedeuten so viele Einnahmen nur jede Menge lästige Steuern. Matti Lieske
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