Meister wird Borussia nicht mehr

Nach dem 1:7 in Wolfsburg ist Mönchengladbach für Friedel Rausch „ein Schiff, das leckt“ – mit gesunkenem Trainer. Das Positive: Man stellt wieder Statistikrekorde auf  ■ Von Holger Jenrich

Wolfsburg (taz) – Als Schiedsrichter Dardenne die gedemütigten Weißhemden per finalem Pfiff endlich von ihren Qualen erlöst hatte, begann vielerorts bereits das Abschiednehmen. Rauschs Friedel, das war einhellige Meinung, würde Minuten später in die Pressekonferenz marschieren und seinen Abschied verkünden: Schluß, aus, Feierabend. Weil er der Mannschaft nicht mehr helfen könne. Weil er mit seinem Latein am Ende sei. Und weil in Mönchengladbach, seit Rolf Rüßmann Manager wurde, im Herbst immer die Trainer gehen müssen.

Doch nichts von alledem geschah in Wolfsburg. Seine Mannschaft war gerade von den als wenig zielsicher geltenden Gastgebern mit 7:1 vermöbelt, vorgeführt, verhöhnt worden, da gab der Gladbacher Üblungsleiter einmal mehr den obligatorischen Ärmelaufkrempler und Hauruck-Psychologen. Natürlich sei er „maßlos enttäuscht“. Natürlich sei das „die schwärzeste Stunde“ seiner Fußball-Laufbahn gewesen. Natürlich sei er froh gewesen, „als der Schiri das Spiel endlich beendete“. Aber deswegen den Kopf in den Sand zu stecken, das komme nicht in Frage. Er sei „stark und mannhaft genug, das Schiff, das leckt, wieder auf einen guten Weg zu bringen“.

Gestern allerdings relativierte der Gladbacher Übungsleiter nach einem Geschäftsstellenbesuch seine Mithilfe an dem Vorhaben mit dem Sätzchen: „Das war's wohl.“

Für den Rest freilich gilt: Warum die Flinte ins Korn werfen, nur weil sich die Provinz-Balltreter von Piächs Gnaden erstmals in ihrem Leben in einen Rausch (!) gespielt haben? Warum in Depression verfallen, nur weil nach einem knappen Drittel der Saison das rettende Ufer schon unerreichbar weit weg ist? Warum das heulende Elend geben, nur weil sich die Kassierer von Unterhaching bis Cottbus schon die Hände reiben?

Positives Denken ist statt dessen angesagt in Mönchengladbach. Und das nicht ohne Grund. Nach Jahren der Graumäusigkeit wartet der Klub, der der Liga dereinst den ersten zweitstelligen Sieg (11:0 über Schalke), die erste Titelverteidigung (1970/71) sowie den höchsten Erfolg aller Zeiten (12:0 über Dortmund) bescherte, endlich wieder mit Statistikrekorden für die Ewigkeit auf:

* 1:7 gegen Wolfsburg, davor 2:8 gegen Leverkusen, macht 15 Gegentreffer in zwei Spielen. Das ist unerreicht in der Geschichte des Vereins und bedeutet Einstellung des Liga-Negativkrekords vom BVB aus dem Jahr 1978. Chapeau!

* Sechs Niederlagen in Folge – das ist Borussias schwärzeste Serie seit dem Bundesligaaufstieg 1965. Glückwunsch!

* Ein Sieg, zwei Unentschieden nach elf Spieltagen – in 35 Jahren Bundesliga waren nur Saarbrücken in der Debütsaison und die legendäre Tasmania aus Berlin schlechter gestartet. Hochachtung!

* 34 Gegentore nach elf Spieltagen – vor knapp 30 Jahren kassierte ein Gladbacher Team noch 29 in einer Saison. Gratulation!

* Sieht man von Freistößen und Ecken ab – die Gladbacher ließen nicht eine schlappe Flanke vor das Wolfsburger Tor segeln. Das hat noch keine Mannschaft geschafft!

* Der höchste Wolfsburger Bundesliga-Sieg war ein 2:0 – im November 1997 über Gladbach. Jetzt sieben auf einen Streich – das nennt man Gastfreundschaft!

* In 44 Spielen hatte Wolfsburg nach einem Rückstand noch nie gewonnen – und jetzt dies. Bemerkenswert!

* Andrzej Juskowiak, in Gladbach als „polnische Flugente“ verlacht, macht gegen seinen alten Verein zwei Tore und erhöht seine Quote für Wolfsburg auf vier Treffer in neun Spielen – am Niederrhein hat er im letzten Jahr für genauso viele Einschüsse 24 Partien gebraucht. Respekt.

Die Fans der Borussia feierten diese Rekordflut auf ihre Weise. Sie standen fahnenschwenkend am Mannschaftsbus. Sie sangen in der Bahnhofspinte trotzig „You'll never walk alone“. Und sie korrigierten kleinlaut das Saisonziel. Meister müsse die Mannschaft nun nicht mehr werden – Hauptsache, sie stehe am Ende vor den Bayern...

VfL Wolfsburg: Reitmaier – Ballwanz – O'Neil (66. Kryger), Thomsen – Greiner, Nowak, Dammeier, Kapetanovic – Akonnor – Juskowiak, Präger (70. Baumgart)

Borussia Mönchengladbach: Enke – Klinkert – Asanin, Witeczek (65. Hagner) – Paßlack (46. Ketelaer), Sopic, Pflipsen, Wynhoff, Schneider – Pettersson (80. Chiqinho), Polster – Zuschauer: 15.375

Tore: 0:1 Polster (3.), 1:1 Akonnor (6.), 2:1 Juskowiak (14.), 3:1 Präger (41.), 4:1 Juskowiak (45.), 5:1 O'Neil (52.), 6:1 Präger (69.), 7:1 Akonnor (72.)